Schon gewusst?

In Deutschland gibt es 16,1 Millionen Einfamilienhäuser.

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In fast 60% der bestehenden Einfamilienhäuser wohnen nur ein oder zwei Personen.

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65% der Deutschen träumen vom Leben in einem Einfamilienhaus.

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25% aller Eigentümer:innen haben ihre Immobilie im Alter über 69 noch nicht abbezahlt.

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Ein Einfamilienhaus kostete im Jahr 2022 doppelt so viel wie im Jahr 2009.

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Seit den 1990er Jahren wurde der Wohnungssektor zunehmend Privatangelegenheit - durch Eigenheimzulage, Pendlerpauschale und Bausparer.

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In einem Einfamilienhaus zu leben, erhöht die Autoabhängigkeit.

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Im suburbanen Raum gibt es durchschnittlich 1,6 Pkw pro Haushalt.

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Ein Pkw parkt durchschnittlich 20 Std. am Tag am Wohnort und nimmt 13,5 qm Fläche in Anspruch

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Jeden Tag werden in Deutschland 22 Hektar für den Bau von Einfamilienhäusern beansprucht.

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83% aller Wohngebäude sind Ein- und Zweifamilienhäuser - sie sind ein bedeutender Hebel für den Klimawandel.

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Die Sanierung eines Einfamilienhauses verbraucht nur 1/3 der Emissionen eines Neubaus.

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Einfamilienhäuser werden immer größer gebaut - zwischen 2007 und 2017 um fast 20%.

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In Baden-Württemberg sind fast 40% aller Neubauten Fertighäuser.

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84% aller Gemeinden in Deutschland weisen neue Einfamilienhausgebiete aus.

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Bis in die Neunziger Jahre galten Einfamilienhausgebiete lange Zeit als Selbstläufer, für die keine intervenierende Planung notwendig schien.

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Für den Umgang mit bestehenden Einfamilienhausgebieten gibt es in den Kommunen wenig Erfahrung und kaum Ressourcen.

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Zitieren
Loidl, V., Rehle, V. (13.November 2023). Ruhende Räume mobilisieren. Leben vor der Stadt. Zugegriffen am 21. November 2024, von https://leben-vor-der-stadt.de/alle-artikel/ruhende-raeume-mobilisieren.
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Ruhende Räume mobilisieren

Öffentliche Räume in Einfamilienhausgebieten sind vor allem für den Verkehr bestimmt. Wie können ruhende Räume rund um das Einfamilienhaus mobilisiert werden?

Ein Umzug in ein Einfamilienhaus ist mit einer Veränderung des Mobilitätsverhaltens verbunden. Denn in einem Einfamilienhaus zu leben, bedeutet oftmals, am Orts- oder Stadtrand, bzw. im Umland zu wohnen. Viele alltägliche Wege – sei es zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Kita oder Schule – können meist nicht mit dem öffentlichen Verkehr, zu Fuß oder mit dem Rad bewältigt werden. Dadurch wird nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie wir von A nach B kommen, sondern auch die Gestaltung des Wohnumfeldes: Die Pkw-Abhängigkeit wirkt sich auf den öffentlichen Raum aus, der insbesondere durch Flächen für den ruhenden Verkehr geprägt ist. Parkplätze, Garagen und Garagenhöfe bestimmen das Bild.

Ein akademisches Problem?

Aus der Perspektive der Stadtplanung ist Mobilität in Einfamilienhausgebieten seit vielen Jahren eine große Herausforderung. Bestimmend sind Pkw-Abhängigkeit und viele Verkehrsflächen sowie fehlende Infrastruktur für Versorgung und Soziales. Doch sind diese Themen auch relevant für die Menschen, die in Einfamilienhausgebieten wohnen? Nach zahlreichen Gesprächen mit Bewohner:innen kommen wir zum Schluss: Für diese “planerischen” Herausforderungen finden die Bewohner:innen ihre ganz eigenen Lösungen. Die Nutzung eines Pkw als primäres Fortbewegungsmittel wird nicht als Problem angesehen, sondern ist nach wie vor die bequemste Art der Fortbewegung. Und sind die Wege zum nächsten Supermarkt zu weit, wird ein Lieferservice beauftragt, der die wöchentlichen Einkäufe nach Hause bringt. Ältere Bewohner:innen, die das eigene Auto nicht mehr nutzen können und die weiten Wege zum öffentlichen Verkehr nicht mehr bewältigen können, greifen im Notfall auf ein Taxi zurück. Vereinzelt wird das E-Bike zunehmend in Betracht gezogen, auch wenn es gerade bei der älteren Generation jedoch eher in der Freizeit genutzt wird und weniger als alltägliches Fortbewegungsmittel dient.

Flächen für das Auto prägen den öffentlichen Raum in EFH-Gebiete, Quelle: Verena Marie Loidl
"Die Busanbindung ist schlechter geworden. Aber da wir zwei Autos haben, ist für uns das Thema Mobilität kein Problem.”
Herr und Frau Eden (Namen pseudonymisiert))

Straße, Gehweg, Straße, Gehweg

Ein Leben ohne Auto ist für die meisten EFH-Bewohner:innen keine Option. Und auch vor weiten Pendlerstrecken schrecken immer weniger Menschen zurück. Im suburbanen Raum, wie z.B. in der Region Stuttgart, legt ein Pkw durchschnittlich 32 km zurück. Das Auto gehört zum Einfamilienhaus – und das von Beginn an. Denn nur durch den Besitz eines Autos waren und sind die weiten Strecken überwindbar. Auch wenn die Art und Weise, wie wir uns in und aus Einfamilienhausgebieten fortbewegen weitgehend gleichgeblieben ist, so hat sich doch etwas verändert: Die Autos werden immer größer und höher – oft passen sie nicht mehr zur damals vorgesehenen Infrastruktur. Die Garagen und Garagenhöfe sind zu klein. Außerdem steigt die Zahl der Pkw pro Haushalt auf mittlerweile 1,6 Pkw. Einen erheblichen Teil des Tages stehen die Autos jedoch still, ganze 20 Stunden pro Tag wird ein PKW durchschnittliche am Wohnort parkiert und beansprucht dabei durchschnittlich 13,5 Quadratmeter Fläche (pro Person). Dieser “ruhende Verkehr” prägt den öffentlichen Raum in Einfamilienhausgebieten. Ein kommunaler Vertreter beschreibt die Charakteristik so: “Straße, Gehweg, Straße, Spielplatz, Straße, Parkplatz, Gehweg…” Wir alle kennen dieses typische Bild eines Einfamilienhausgebietes, das für Planer:innen ein “Problem” darstellt, aber für die Menschen gewohnter Alltag ist. In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft an das Privileg von Flexibilität und Komfort gewöhnt.

Öffentlicher Raum in EFH-Gebieten, Quelle: Verena Marie Loidl
"Also auf eine Garage würden wir niemals verzichten. Aufgrund von den ganzen sommer- und winterlichen Temperaturunterschieden, wollen wir immer die Möglichkeit haben, trocken ins Auto zu kommen und das Auto soll nicht die ganze Zeit in der Hitze stehen.”
Frau Eden (Name pseudonymisiert)

Orte statt Räume

Neben der drängenden Frage, ob wir uns das Auto aufgrund seiner Klimaauswirkungen noch leisten können, treten städtebauliche Fragestellungen. Die Homogenität des öffentlichen Raumes und der Übergangszonen hat Auswirkungen auf das das öffentliche und nachbarschaftliche Leben in Einfamilienhausgebieten. Denn diese wichtigen Übergangsräume zum privaten, individuellen Raum laden nicht zu Begegnungen ein. Eine Bewohnerin verrät uns: “Ich verlasse das Haus morgens, mache meine Erledigungen, komme abends zurück und habe niemanden gesehen.” In vielen Gesprächen mit Einfamilienhausbewohner:innen bestätigt sich diese Einschätzung. Es fehlen Orte des Austauschs, an denen Gemeinschaft entstehen und gefördert werden kann, obwohl doch das Einfamilienhausgebiet genau diese Nachbarschaftlichkeit verspricht. Eine mögliche Erklärung ist diese: Die Gestaltung und Struktur von Siedlungen haben einen Einfluss darauf, ob und wo Menschen sich begegnen. In Einfamilienhausgebieten lässt die Struktur und die Pkw-konforme Straßengestaltung Begegnung oftmals nicht zu. Gernot Pohl, Leiter des Stadtplanungsamtes in Kirchheim unter Teck sagt: “Wir erzeugen mit dem Einfamilienhaus Strukturen, die dem Nestbautrieb frönen. Wenn die Kinder entfliegen, dann befindet man sich plötzlich in einer Siedlungsstruktur, die auf Isolation ausgerichtet ist. Und obwohl sich alle Nachbar:innen in der gleichen sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Situation befinden, findet man doch nicht zueinander. Es gibt auch keinen Ort, an dem man niederschwellig über eine Veränderung der Wohnsituation nachdenken könnte.”

Wo könnten diese wichtigen Begegnungsräume entstehen? Wir vermuten ein großes Potenzial im öffentlichen Raum, der dem ruhenden Verkehr in Einfamilienhausgebieten gewidmet ist. Auch Prof. Susanne Dürr, Architektin und Vizepräsidentin der Architekten und Architektinnenkammer Baden-Württemberg hebt in einem unserer Workshops die Wichtigkeit dieser Orte hervor: "Wir haben wenig Spielräume durch die Eigentumsquote. Wir sollten uns auf Eingriffsmöglichkeiten konzentrieren, die bestehen: Infrastruktureinrichtungen, Straßen, Stellplatzsatzungen.” Aber wie können wir diese ruhenden Räume mobilisieren? Vor allem im Hinblick auf das große Spannungsfeld, was sich auftut, zwischen Gewohnheit und fehlenden Alternativen?

In einem Entwurfsseminar an der Hochschule für Technik Stuttgart sind Studierende aus den Fachbereichen Architektur und Stadtplanung diesem Potenzial auf die Spur gegangen. Es wurden architektonische und städtebauliche Lösungsvorschläge für die Räume des ruhenden Verkehrs erarbeitet. In der vorausgegangenen Analyse war deutlich geworden, dass Stellplätze und Garagen oftmals nicht mehr für das Abstellen eines Pkw genutzt werden. In einem nachträglichen Feedbackgespräch mit den Bewohner:innen wurde deutlich: Insbesondere die Umgestaltung der bestehenden Garagen und Garagenhöfe haben die Bewohner:innen beeindruckt. Es scheint, als würden Veränderungen “vor den eigenen vier Wänden” nicht ganz so bedrohlich wirken. Veränderungen im eigenen Haus wirken hingegen oftmals abschreckend. Daher macht es Sinn, die Entwicklung der Gebiete auch einmal explizit vom öffentlichen Raum her zu denken: von den Straßen, den Spielplätzen, den öffentlichen Parkplätzen.

Was können wir tun

Die Stadt von der Straße aus denken

Studierende der Stadtplanung analysierten eine Siedlung in Kirchheim unter Teck und stießen auf eine Vielzahl von Garagenhöfen, die sich außerhalb des privaten Grundstückes befinden. Sie entwickelten den Vorschlag, die vormals monofunktionell genutzten Räume, die heute teilweise nur noch Lagerflächen sind, in Zukunft den Bewohner:innen und der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. So entstehen neue Qualitäten, die die Nachbarschaft bereichern und beleben. Gleichzeitig regt es die Bewohner:innen zu einer Auseinandersetzung mit dem Raum außerhalb ihrer privaten Grundstücke an. So bestätigt ein Bewohner in unserer nachträglichen Feedbackrunde: Das Garagenhofprojekt hat dazu angeregt, über das eigene Wohnen nachzudenken. Als Vorbild zur Überbauung von Garagenhöfen zogen die Studierenden ein Projekt aus Karlsruhe heran (Bauherrin: Volkswohnung Karlsruhe, Architekt: Dr. Falk Schneemann).

Garagenaufstockung in Karlsruhe

Auf Grundlage dieser konzeptionellen Vorüberlegungen widmeten sich Studierende der Innenarchitektur der genauen Ausarbeitung einer Garagen(hof)überbauung.

Artikel "Wohnen statt Parken durch Aufstockung von Garagen — ein Semesterprojekt" lesen
Aktivierung von Garagenhöfen, Quelle: Becker, Raussen

Private Garagen zu Wohnräumen transformieren

Eine weitere studentische Gruppe erarbeitete in Zusammenarbeit mit einer Einfamilienhaus-Bewohnerin das Projekt “Parkst du noch oder lebst du schon”. Idee war es, die bestehende, sehr große Doppelgarage zu einem Co-Working Bereich umzubauen und damit auf die ganz persönlichen Probleme der Familie einzugehen. Frau Blum (Name pseudonymisiert) arbeitet im Home-Office und fühlt sich, wenn Mann und Kinder nicht im Haus sind, oftmals isoliert. Von den vier Stellplätzen auf dem Grundstück nutzt die Familie lediglich einen. Die Garage mit zwei Stellplätzen misst 55 Quadratmeter und umfasst damit beinahe die Fläche einer 2-Zimmer-Wohnung. Diese Fläche wurde in einem ersten Schritt in einen Co-Working Bereich für Frau Blum und weitere potenzielle Nutzer:innen umgestaltet. Später kann dort eine barrierefreie, altersgerechte Wohnung entstehen. Herr und Frau Blum wünschen sich auch im Alter eine räumliche Nähe zu ihren Kindern, idealerweise an ihrem jetzigen Wohnort. Durch den Vorschlag, zwei getrennte Wohnungen auf dem Grundstück unterzubringen, kann der typische Lebenszyklus eines Einfamilienhauses durchbrochen werden. Bauliche Anpassungen ermöglichen vielfältige Nutzungen für unterschiedliche Bedürfnisse und beugen inneren Leerständen vor.

Neuer Wohnkreislauf im Einfamilienhaus, Quelle: Bock, Lutz

Quellen

Coverbild

Thomas Wolf