Welche Zukunft hat das Einfamilienhaus?
Unser Kooperationspartner, die Bundesstiftung Baukultur, veranstaltete mit der IBA’27 StadtRegion Stuttgart im Sommer 2023 einen Baukulturdialog zum Thema „Der Traum vom Einfamilienhaus“ im Musterhauspark Fellbach
Ein Bericht vom Baukulturdialog
Am 5. Juli 2023 machten wir uns auf den Weg zur Musterhaussiedlung in Fellbach. Eine vertraute Kulisse, denn hier waren wir schon einmal auf Exkursion, um dem Phänomen Fertighaus nachzugehen. Unser Kooperationspartner, die Bundesstiftung Baukultur, hatte im Rahmen des IBA’27 Festivals zu einem Baukulturdialog mit dem Titel „Der Traum vom Einfamilienhaus“ eingeladen. Über 100 Teilnehmer:innen aus den Bereichen Bauen, Forschung, Immobilienentwicklung und weitere Interessierte kamen zusammen, um sich mit zahlreichen Fragen rund um das Eigenheim auseinanderzusetzen.
Beatrice Soltys, Bürgermeisterin der Stadt Fellbach, eröffnete den Dialog mit der Feststellung, dass sie seit 15 Jahren Amtszeit zum ersten Mal in der Musterhaussiedlung sei und die Umgebung skurril empfinde. Immer noch erreichen die Stadt zahlreiche Einfamilienhaus-Baugesuche, aber de facto hat die Stadt nur noch fünf geeignete Bauplätze, die aufgrund der hohen Grundstückspreise und Zinsen leer stünden. Darüber hinaus werde Fellbach keine neuen Grundstücke für Einfamilienhäuser mehr ausweisen. Dafür stehe das Einfamilienhaus in zu starker Flächenkonkurrenz. „Die Typologie EFH wird nicht die gesellschaftlichen Themen lösen. Wir müssen darüber diskutieren, wofür wir unsere wertvollen Flächen nutzen.“ IBA-Intendant Andreas Hofer schließt sich bei seiner Begrüßung dieser Diskussion an und betonte, dass das Einfamilienhaus Teil der Stadt der Zukunft sei. Die IBA hatte sich bisher nicht intensiv mit diesem Thema beschäftigt, aber nun sei es an der Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
„Die Stadt der Zukunft ist gebaut und das Einfamilienhaus ist Teil davon.“
Geschäftsführer der Bundesstiftung Baukultur Reiner Nagel appelliert daran, das Thema sensibel zu behandeln und betont, dass „Baukultur sich nicht fraktionieren lässt. "Ethische, strukturelle und klimatische Fragen müssen mit Baukultur verknüpft werden.“ Dementsprechend sei es wichtig, sich auch mit dem Thema Einfamilienhaus auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch Fertighäuser. Fertighäuser haben in Architekturkreisen nicht den allerbesten Ruf. Zu funktional, zu monoton und sowieso nicht nachhaltig und Flächen fressend. Sevil Özluk, Geschäftsführerin Musterhauspark Fellbach, sieht das freilich anders. Wie nachhaltig und alltagstauglich Häuser von der Stange sein können, sollen fünf Vertreter von Fertighaus-Herstellern erläutern. Das Wort "Nachhaltigkeit" wird an diesem Abend noch sehr oft fallen.
Wir besichtigen fünf Häuser unterschiedlicher Hersteller. Nach einer kurzen Begehung werden die Gebäude und die dahinterstehenden Unternehmen, die hauptsächlich von Familien geführt werden, vorgestellt. Ein Verkaufsberater beschrieb das Albert Haus als „100% individuell“. Hier kann das Optimum für die Bauherren durch einen eigenen Architekten und eine Bedarfsanalyse erreicht werden. „Das Haus mit DNA", das bei Auszug der Kinder zu einem MFH umgewandelt werden kann. Die CO2 Bilanz ist „super super energieeffizient“ und bald errichtet die Firma das erste Wasserstoffhaus. Auch beim Schwörer Haus werden die „innovativen Energiekennzahlen mit phänomenalen Werten“ angesprochen. „Schwörer ist seit 42 Jahren nachhaltig und seit 2011 klimaneutral“. Die Werte und Verbräuche der laut den Verkaufsberatern relativ alten Musterhäuser (kein Haus ist älter als 25 Jahre) werden im Bereich des Massivbaus heute noch nicht erreicht. „Wir treiben den konventionellen Hausbau vor uns her.“ Der Verkaufsberater beschreibt die ganze Branche als innovativ. Es wird deutlich: Hier geht es nicht nur um die Firma Schwörer, sondern um die Fertighausbranche als Ganzes, die vehement verteidigt wird.
Während der Besichtigungen beobachten wir erstaunte aber auch belächelnde Reaktionen der Teilnehmer:innen. Die Fertighausbauer spüren die kritische Haltung einiger Menschen. An diesem Tag sind sie keine Konkurrenten, sondern stehen zusammen. Nachdem wir das Baufritzhaus besucht haben, bei dem ebenfalls die Themen Nachhaltigkeit und Lebenszyklus eine große Rolle spielten, endet die Führung bei Weiss Fertighausbau. Dort besichtigen wir eines der beliebtesten Fertighäuser Deutschlands mit dem Geschäftsführer und Vorsitzenden der Gütegemeinschaft deutscher Fertighausbauer Herrn Weiss. Für die Firma ist nach eigener Aussage individuelle Architektur maßgebend, denn der „Mensch will individuell wohnen.“ Er beschreibt die Branche als Dienstleister für Menschen, die ein Grundstück haben. Die Kritik des Flächenverbrauchs gibt er an die Kommunen weiter, die perfekt auf das Einfamilienhaus zugeschnittene Baugebiete nach wie vor ausweisen. Die Kommune müsse interessante Angebote schaffen und nicht immer nur theoretisieren. Auf eine Rückfrage aus dem Publikum, warum das Holzhaus mit Kunststoff und nicht mit Holz verkleidet ist, antwortete der Fertighausbauer: „Mit dieser Fassade habe ich 100% meine Ruhe.“ So viel zur Nachhaltigkeit.
Nach der Führung geht es weiter mit den Fachvorträgen. Frau Soltys will zu Beginn wissen, wie viele Privatpersonen heute anwesend sind. Obwohl das Haus voll ist, melden sich nur drei Personen. Sie antwortet auf die Kritik der Fertighausbauer, dass keine Bauplätze für andere Wohnformen ausgewiesen werden, mit den Worten: “Wenn ihr neue Grundstücke von der Stadt braucht, dann bringt doch mal interessante Konzepte. “Wir können nur noch Mehrfamilienhäuser bauen – das wird auch politisch gefordert”, erklärt Frau Soltys. Die lokale Landwirtschaft will, dass die Flächen gut genutzt werden, wenn sie schon weggenommen werden. Herr Nagel stellt fest: “Heute haben wir eine Flächenbelastung von 600%.” Der Wunsch nach Einfamilienhäusern ist in der Gesellschaft nach wie vor stark, und immer noch weisen 72% der deutschen Kommunen Neubaugebiete für sie aus. Nur 21% möchten gerne in einer Großstadt wohnen. Herr Nagel sagt voraus, dass das Einfamilienhaus im Jahr 2040 die billigste Art zu wohnen sein könnte. In Thüringen werden bereits im Jahr 2030 um die 30.000 Einfamilienhäuser leer stehen. B-Pläne bezeichnet er als fantasielos. Er weist darauf hin, dass es eine Umbaukultur braucht, die von den Vorgaben her erleichtert wird, und stellt einen historischen Zusammenhang her: “Bis vor 150 Jahren haben wir die Fläche umgebaut, nicht darauf gebaut.” Auch unser Projekt wir an diesem Tag vorgestellt. Als Wüstenrot Stiftung und die Hochschule für Technik beschäftigen wir uns mit dem Erbe der über 16 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland. In ihrem Vortrag "Leben vor der Stadt" betrachten Anja Reichert-Schick und Christina Simon-Philipp das Einfamilienhaus als Bautyp mit Potenzial zur Weiterentwicklung und suchen den ko-kreativen Austausch mit den Bewohner:innen. Was bedeutet das Leben im Einfamilienhaus für sie? Sind sie bereit, über neue Formen des Zusammenlebens nachzudenken, Beziehungen zwischen Freiräumen und Eigentümerstrukturen herzustellen und Einfamilienhausgebiete mit ergänzenden Nutzungen und Verbindungen zu bereichern? Die Erkenntnis lautet: Ja, die Bereitschaft ist da, aber es fehlt an guten architektonischen Vorbildern und oft auch am Selbstverständnis und der Handlungsstrategie der Gemeinden, eine aktive Rolle einzunehmen.
Herr Menzel stellt im Anschluss die Frage, warum das Einfamilienhaus immer als Traum betrachtet wird. In den letzten Jahren wurde dieses "Besitzstandsdenken" gefördert, aber nicht hinterfragt. Viele Vorteile und Wünsche der Bewohner, wie zum Beispiel Privatsphäre oder Altersvorsorge, werden dem Einfamilienhaus zugeschrieben. Doch diese Argumente sind nicht zwingend an diesen Gebäudetyp gebunden. Es gibt auch Alternativen zur Eigentumsbildung. Doch aufgrund des biografischen Zirkelschlusses "Ich bin so aufgewachsen und will, dass meine Kinder genauso aufwachsen" sind Menschen bereit, für das Einfamilienhaus zu verzichten und zu entbehren. An diesem Punkt gibt es aus seiner Sicht noch viel zu tun. Zum Beispiel werden in einer Musterhaussiedlung nur einseitige Bilder erzeugt. Es gibt keine Alternativen oder anderen Visionen. In der Moderne war Suburbia ein Magnet für damals vorherrschende Lebensentwürfe. In der Wissenschaftsgesellschaft wiederum hatte die Stadt eine große Anziehungskraft und etablierte sich als starkes Gegenmodell. Viele Erscheinungsformen wandeln sich, bzw. es lösen sich die Grenzen auf: der Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen privat und öffentlich, Wohnen und Arbeiten aber auch im Bereich der Mobilität und des Wohnwohlstandes. Wie können wir angemessen auf diese Veränderungen im Wohnbereich reagieren? Eine mögliche Lösung besteht darin, die Nachfrage auf bestehende Wohnungen zu lenken und neue Wohnformen zu entwickeln, die sowohl in der Stadt als auch auf dem Land funktionieren. Dabei ist es wichtig, das Einfamilienhaus nicht zu verteufeln, um eine Kluft zwischen Stadt und Land zu vermeiden. Wir sollten auch die demografische Entwicklung berücksichtigen, da sich die Nachfrage zwangsläufig verändern wird. Es besteht die Gefahr, dass sich Einfamilienhäuser zu schrottreifen Immobilien entwickeln, wenn sie nicht rechtzeitig modernisiert werden.
"Ich bekomme das aus den Leuten nicht raus"
In der anschließenden Diskussionsrunde nehmen neben den Referenten und Referentinnen auch Andreas Hofer, Intendant der IBA’27 StadtRegion Stuttgart, Sevil Özlük, Geschäftsführerin der Musterhaussiedlung, Florian Schmid, Vertriebsleiter von Schwörer-Haus, und Wolfgang Riehle, Vorsitzender des Vereins IBA-Friends, teil. Die Runde wird von Herrn Nagel moderiert, der die Diskussion mit einer Frage an Herrn Schmid eröffnet: Gibt es spürbare Veränderungen in der Nachfrage? An der Nachfrage selbst ändert sich nichts, jedoch ändert sich die Ausstattung des klassischen Einfamilienhauses. Früher ging es vor allem darum, möglichst viel Platz zu haben und mehr Raum als der Nachbar zu besitzen. Heutzutage ist ein entscheidendes Kriterium, wie viel Energie das Objekt verbraucht. Herr Schmid betont, dass es nicht funktionieren wird, Interessenten von ihrem Traum abzubringen: Die Menschen, die ein Einfamilienhaus wollen, sind absolut zufrieden und wollen genau das - Kinderzimmer 1 und Kinderzimmer 2. "Ich bekomme das aus den Leuten nicht raus", sagt er.
"Es wäre doch toll, wenn in vier Jahren an einer Ecke ein Modell für ein Mehrfamilienhaus stehen würde."
Marcus Menzl hingegen möchte das Einfamilienhaus nicht verteufeln. Es ist wichtig, eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Fakten und den Bedürfnissen der Menschen zu schlagen. Herr Hofer stimmt ihm zu und betont, dass intensive ideologische Diskussionen nicht zielführend sind. Uns fällt auf, dass sich zwei Fronten gebildet haben: die der Profiteure des Einfamilienhauses und die der kritischen Wissenschaft und Architektur-Elite. Deutlich wird aber auch: Alle signalisieren, es muss sich etwas ändern, die Nachfrage nach dem klassischen Einfamilienhaus wird sich sowieso verändern, aber wohin? Das können alle Akteure mit gebauten Beispielen beeinflussen. Es stellt sich die Frage, wie gemeinsam Lösungen entwickelt werden können, ohne sich ständig voneinander abgrenzen zu müssen. Wie kann ein Umdenken stattfinden, sodass das Einfamilienhaus seine Berechtigung behält, aber gleichzeitig energieeffizienter, flächensparender und vielfältiger wird? Verena stellt also an beide Seiten die Frage, warum nicht gemeinsam nach einem neuen "Narrativ" gesucht wird. Sie schlägt vor, in den kommenden Jahren beispielsweise ein vierstöckiges Musterhaus zu bauen, um "neue Bilder zu schaffen". Am Ende der Diskussion nimmt Herr Hofer diesen Gedanken auf und sagt zu Gastgeberin Özlük: "Es wäre doch toll, wenn in vier Jahren an einer Ecke ein Modell für ein Mehrfamilienhaus stehen würde."
Wir sind gespannt, ob dieser Gedanke in die Realität umgesetzt wird.
Titelbild
Valerie Rehle