Schaffe, schaffe, Häusle bauen!
Der Traum vom Eigenheim ist ungebrochen. Was macht das Eigenheim auch heute noch zum kollektiven Ideal?
Die Geschichte eines Selbstläufers
In der Mitte des letzten Jahrhunderts entstand in Deutschland ein kollektives Ideal, das bis heute an Gültigkeit nicht verloren hat: das Einfamilienhaus als Familiendomizil. Das Wohnen im Eigenheim wurde zu einer Zeit populär, als Wirtschaftswachstum, Automobilisierung und die schier unerschöpflich verfügbare fossile Energie Wohlstand versprachen. Zeitgleich gewann die Kleinfamilie als klassisches Lebensmodell zunehmend an Bedeutung, so dass sich das Einfamilienhaus zu einem bedeutsamen Teil der gebauten Umwelt und unserer Wohnkultur entwickeln konnte. Jahrzehntelang von Planung und Politik idealisiert und gefördert hält dieser Traum auch heute noch an: 65 Prozent der Deutschen wünschen sich, in einem Einfamilienhaus zu wohnen. Im Jahr 2019 waren es 63 Prozent, 2018 träumten 60 Prozent von einem Einfamilienhaus. Die Tendenz ist also steigend
Nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkte sich in Deutschland die bereits bestehende Wohnungsnot. Die großflächige Zerstörung der Städte eröffnete außerdem die Möglichkeit, über eine Neuausrichtung des Wohnungs- und Städtebaus der Zukunft nachzudenken. Die Debatte, die letztlich politische und gesellschaftliche Änderungen im Wohnungsbau zugunsten des Eigenheimes herbeiführte, war zwar in erster Linie eine deutsche, aber auch die USA beeinflussten die zukünftige Entwicklung von Wohnraum
Nie ausgeträumt?
Das Einfamilienhaus hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte rasant von einem wirtschaftlichen Motor und dem Versuch, gesellschaftliche und politische Stabilität herzustellen, zu einer kulturellen Identität entwickelt. Das zeichnet sich im Gebäudebestand ab: Im Jahr 2021 befanden sich rund 16,1 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland
“Koste es was es wolle!”
Auf der Suche nach den Gründen für diesen kollektiven Traum, haben wir einen zukünftigen Einfamilienhaus-Bewohner befragt. Herr Alt hat eine explizite Vorstellung von der Art und Weise, wie er zukünftig wohnen möchte. Die Vorstellung ist stark geprägt durch seine Kindheit - er ist selbst in einem Einfamilienhaus aufgewachsen. Die Grundrisse für sein zukünftiges Traumhaus kennt er in- und auswendig. Obwohl “sein” Haus erst in 10 Jahren realisiert werden soll, da er gerade noch ledig und kinderlos ist, hat er ganz konkrete Vorstellungen: Freistehend muss es sein, mit viel Platz und Stauraum und 1.000 Quadratmeter Gartenfläche. Und ein Einfamilienhaus ist nicht gleich Einfamilienhaus: Neubaugebiete sind ihm zu anonym, er vergleicht sie mit einer Plattenbausiedlung.
In vielen Bereichen seines Lebens ist Herrn Alt Flexibilität wichtig, er ist im Startup-Bereich tätig und arbeitet remote. Es scheint für ihn trotzdem kein Argument zu geben, welches gegen ein Einfamilienhaus sprechen würde. Das Wohnen im Einfamilienhaus symbolisiert im heutigen und schnelllebigen Zeitalter einen Ruhepol und Rückzugsort. Zur Sehnsucht nach Privatheit gesellt sich der Wunsch nach finanzieller Absicherung hinzu. So ist im Jahr 2022 eine der verbreitetsten Geldanlagen der deutschen Haushalte mit 34,8% immer noch das Einfamilienhaus. Die private Rentenversicherung liegt bei 23%, Eigentumswohnungen bei 10%
Beharrungstendenzen
Warum werden aktuelle Wohn-Alternativen heute noch kritisch betrachtet? Würden wir immer noch alle im EFH wohnen wollen, wenn es Alternativen gibt, in denen sich Qualitäten, die aktuell nur dem EFH zugesprochen werden, wiederfinden? Und wann entsteht dieser kollektive Wunsch in unseren Köpfen? Bei unseren Recherchen wurde deutlich, das Einfamilienhaus ist weder ein natürliches Bedürfnis, noch eine rein logische Entscheidung: Um das Massenphänomen “Einfamilienhaus” zu verstehen, muss die kulturelle Dimension des Einfamilienhauses beleuchtet werden.
Studierende haben dafür 73 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen sechs und elf Jahren gefragt, wie und mit wem sie in Zukunft zusammen wohnen möchten. Es ergibt sich eine große Vielfalt an Bildern: gemeinschaftliches Wohnen, Generationen-Wohnen, Verdichtetes Wohnen. Erinnern einige Häuser an das klassische Einfamilienhaus mit Spitzdach, so versteckt sich dennoch hinter der Fassade eine Wohnvielfalt. Nur wenige Kinder möchten ausschließlich mit der Kernfamilie (Mama, Papa, Kind) zusammenwohnen, sondern wünschen sich eine große Gemeinschaft. Die entstandenen Zeichnungen und die Zusammenfassung in der Collage (s. Foto) machen deutlich: die Wohnvorstellungen der Kinder sind vielfältig. Die eine „klassische“ Wohn- und Lebensform gibt es nicht. Die Bilder verdeutlichen auch gesellschaftliche Veränderungen, da Familienformen und Lebensstile sehr diversifiziert dargestellt werden.
Das Einfamilienhaus – prägende Wohnform in Deutschland – ist gebauter Ausdruck eines bestimmten Gesellschaftsbildes. Aber entspricht es auch den zukünftigen Anforderungen einer vielfältigen Gesellschaft? Ist in unseren Köpfen zu einem gewissen Zeitpunkt noch eine Vielfalt an Vorstellungen vorhanden, so gibt es anscheinend einen Punkt, an dem sich diese unterschiedlichen Typen zu einem Einfamilienhaus verdichten. Die Gründe dafür sind vielfältig: gesellschaftliche Narrative, die sich seit der Nachkriegszeit nicht mehr verändert haben, eine massive Eigenheimförderung, die bis heute anhält und das Fehlen von alternativen Wohnformen, die Lust auf Veränderungen machen.
Was können wir tun
Neue Formen des
Wohnens kennen lernen
Es gibt bereits gebaute Beispiele, die Lust darauf machen, anders zu wohnen. In Kooperation mit der Stadt Kirchheim unter Teck haben wir einen Versuch gemacht und mit Einfamilienhausbewohner:innen ein neues Stadtquartier besucht, in dem eine Vielfalt an neuen Wohnformen umgesetzt wurde. In dem Artikel "Leben nach dem Einfamilienhaus" haben wir diese Erfahrung dokumentiert.
“Wie ich lebe, hat damit zu tun, welche Beispiele man kennt und wahrnimmt.”
Baukultur frühzeitig vermitteln
Baukultur betrifft uns alle. Jedoch richten sich Publikationen oder Veranstaltungen oftmals noch an Expert:innen oder Erwachsene. Jugendliche stellen aktuell noch keine wichtige Zielgruppe dar, obwohl genau an dieser Stelle eigene Vorstellungen entstehen und geprägt werden.
So gibt es bereits Angebote für die bau- und planungskulturelle Bildung
Noch früher setzt ein Studienprojekt an: Laut den Studierenden muss die Vermittlung verschiedenster Wohn- und Gebäudeformen bereits in der Kindheit erfolgen, damit der Blick von Kindern von Anfang an weit über das Einfamilienhaus hinaus geöffnet wird. Die Studierenden Nadja Probst und Ulrike Hoffmann haben in diesem Zuge ein Kinderbuch, das das Einfamilienhaus ins Zentrum stellte, abgewandelt und durch neue Zeichnungen mit Mehrfamilienhäusern ergänzt. Die Kinder spielen in einem nachbarschaftlichen und gemeinschaftlichen Garten ohne Zäune. So lernen Kinder schon früh eine große Palette an Wohnformen sowie Formen gemeinschaftlicher Nutzung von Flächen und Dingen kennen und werden nicht nur - wie bislang weit verbreitet - mit dem Blick auf das Idyll des Eigenheims sozialisiert.
Qualitäten in anderen
Wohnformen erzeugen
Gibt es nicht auch andere Wohnformen, in denen wir gerne leben möchten? Gestaltende Disziplinen können in Zukunft darüber nachdenken, welche Qualitäten das Einfamilienhaus zu der beliebtesten Wohnform machen. Wie kann Privatheit, Nähe zu Natur, privates Grün auch in dichteren Wohnformen geschaffen werden? Dafür müssen wir Begriffe wie Dichte neu verhandeln und die Qualitäten dieser Wohnformen kommunizieren.
Quellen
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1
Interhyp, presseportal.de 2021: Anteil der Deutschen, die sich ein freistehendes EInfamilienhaus wünschen (in den Jahren 2018, 2019 und 2021). In Statista, Zugriff am 13. Juni 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1262760/umfrage/umfrage-zum-wunsch-nach-dem-eigenen-einfamilienhaus/?locale=de
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2
Alexandra Staub 2017: Von Stunde Null bis Tempo 100. Das Einfamilienhaus und die Amerikanisierung westdeutscher Wohnideale in der Nachkriegszeit. S.73 – 77 in: Das Einfamilienhaus. Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
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3
Statistisches Bundesamt 2022: Anzahl der Einfamilienhäuser in Deutschland in den Jahren 2001 bis 2021. In Statista, Zugriff am 13. Juni 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39010/umfrage/bestand-der-einfamilienhaeuser-in-deutschland-seit-2000/#statisticContainer
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4
Statistisches Bundesamt (Destatis) 2023: Wohngebäude, Wohnungen, Wohnfläche: Deutschland, Stichtag, Anzahl der Wohnungen 31.12.1995 - 31.12.2021, Zugriff am 13. Juni 2023, von https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=31231-0003&bypass=true&levelindex=0&levelid=1686656773000#abreadcrumb
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5
IfD Allensbach 2022: Ranking der verbreitetsten Geldanlagen, Immobilien und Versicherungen im Haushalt im Jahr 2022. In Statista. Zugriff am 13. Juni 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/170962/umfrage/besitz-von-versicherungen-geldanlagen-im-haushalt/?locale=de
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Thomas Wolf für die Wüstenrot Stiftung