Das Einfamilienhaus. Energieschleuder oder Gebäudereserve der Zukunft?
Ein Gastbeitrag aus Österreich von Julia Lindenthal
Das Einfamilienhaus hat einen enormen Anteil an den Ressourcen-, Flächen- und Energieverbräuchen und somit einen maßgeblichen negativen Einfluss auf Klima und Umwelt. Die gute Nachricht ist, dass auch viel Potenzial im Haus steckt, das gehoben werden sollte.
Das in seiner heutigen Erscheinungsform noch relativ junge Phänomen „Einfamilienhaus“ (EFH) hat seit den 1950er Jahren eine Entwicklung hingelegt, die in vielerlei Hinsicht rekordverdächtig ist:
Innerhalb kürzester Zeit wurde es zu einem „must have“ für alle Gesellschaftsschichten, ist der Inbegriff von familienfreundlicher und kindgerechter Wohnform geworden und wird mit Wohnen „im Grünen“, viel Platz, Sicherheit, absoluter Gestaltungshoheit, größter Privatheit und höchstem Komfort beworben. Gleichzeitig ermöglicht ein Eigenheim mehr Distanz zum sozialen Umfeld und birgt damit weniger Konfliktpotenzial mit Nachbar:innen oder Mitbewohner:innen als ein Wohnen im Mehrfamilienhaus. Auch wenn in der Praxis diese Vorteile oft nicht zutreffen - man denke bspw. an erbitterte Nachbarschaftsfehden wegen Heckenschnitt oder Zaunverläufen - und seine Schattenseiten (höherer Pflege- und Erhaltungsaufwand, höhere Betriebskosten, etc.) gern verschwiegen werden, ist das Einfamilienhaus nach wie vor die beliebteste Wohnform im deutschsprachigen Raum. 83% aller Wohngebäude Deutschlands sind Ein- und Zweifamilienhäuser (EFH- und ZFH), in Österreich machen die EFH- und ZFH sogar 79% aller Gebäude aus. Hier wie dort leben in den EFH- und ZFH rund 50% der Bevölkerung.
Fakt ist, dass die tatsächlichen und vermeintlichen Vorteile eines Einfamilienhauses zu Lasten des Rests der Menschen, der Umwelt und des Klimas gehen, da es deutlich mehr Platz als andere Bauformen benötigt und sein Ressourcen- und Energieverbrauch enorm ist.
Viel Energie für Heizung und Warmwasser
Die letzten Daten zu Energieverbräuchen und Heizsystemen bei Einfamilienhäusern in Österreich wurden 2001 als Ergebnis der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) veröffentlicht: Die Häuser der 1970er und 1980er, in welche die Mehrzahl des EFH- und ZFH-Bestandes in Österreich fallen, haben in der Regel den schlechtesten Gebäudestandard und somit den höchsten Energiebedarf. Zudem dominieren in den Einfamilienhäusern nach wie vor die klimaschädlichsten Brennstoffe Öl, Koks und Gas bei der Wärme- und Warmwassererzeugung: 61% aller mit Öl, 65% aller mit Koks, und 34% aller mit Gas beheizten Wohnungen befanden sich in Einfamilienhäusern.
Leider gibt es keine aktuellere statistische Auswertung, wie die Energieversorgungsstrukturen des österreichischen Gebäudebestands nach Gebäudetypen aussehen. Die Gebäudestatistik wird auf Ebene von Mikrozensusdaten fortgeschrieben, welche aber hinsichtlich der Stichprobengröße keine validen Aussagen zulässt. Deshalb wird auf eine andere Studie zurückgegriffen, bei der ein Zusammenhang zwischen der Wohnform „Einfamilienhaus“ und dem Energieverbrauch eindeutig belegbar ist: 2019 erschien eine Studie der Statistik Austria, zum Thema „Haushaltsenergie und Einkommen mit besonderem Fokus auf Energiearmut
Wesentliche Erkenntnisse der Studie sind: Der Energieverbrauch von Haushalten in Ein- und Zweifamilienhäusern (im Schnitt 24.920 kWh pro Jahr) ist mehr als doppelt so hoch wie jener von Wohnungen in größeren Gebäuden (knapp 11.980 kWh pro Jahr). Auch das Rechtsverhältnis hat einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch, denn eine Wohnung im Eigentum hat mit durchschnittlich 22.730 kWh pro Jahr einen deutlich höheren Verbrauch als eine Mietwohnung (13.240 kWh pro Jahr).
Haushalte mit hohem Haushaltseinkommen wohnen deutlich häufiger in Ein- und Zweifamilienhäusern (66,9%) als Haushalte mit mittlerem (47,6%) und niedrigem Haushaltseinkommen (34,7%). Der Energieverbrauch von Ein- und Zweifamilienhäusern ist ebenfalls abhängig vom Haushaltseinkommen: je größer das Einkommen, umso größer der Energieverbrauch. Er reicht von jährlich 21.320 kWh pro Jahr bei niedrigem Einkommen bis über 27.840 kWh pro Jahr bei hohem Einkommen.
Auch der durchschnittliche Stromverbrauch wächst mit der Größe der Wohnung. Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäuser haben einen durchschnittlich um 1390 kWh höheren Verbrauch als Wohnungen in großvolumigen Gebäuden. Interessant ist, dass das Rechtsverhältnis hier ebenfalls eine Rolle spielt, denn der Stromverbrauch von Eigentumswohnungen liegt um 1200 kWh über dem von Wohnungen in Mietverhältnissen.
Graue Energie
Damit ein Gebäude erbaut, genutzt, erhalten und irgendwann einmal rückgebaut oder abgebrochen werden kann, müssen Unmengen von Energie und Ressourcen hineingesteckt werden. Der Anteil an Energie, die zur Herstellung der Baustoffe, für Transportwege, Bau, Rückbau und Entsorgung benötigt wird, man spricht hier auch gerne von „grauer Energie“, ist hoch. Das Wuppertal Institut hat in einer Studie für die Bundesstiftung Baukultur gezeigt: ein Bestandsgebäude, das auf einen sehr guten Energieeffizienzstandard saniert wurde, verursacht nur ein Drittel der Emissionen eines Neubaus gleichen Standards, da in der Errichtung oft mehr Energie steckt, als ein Haus in den nächsten 50 Jahren verbraucht. Selbst im Vergleich einer Sanierung auf „Standard Effizienzhaus 85“ und eines „Standard Effizienzhaus 85 - Neubaus“ verursacht die Sanierung nur 40 % der Emissionen. Daraus lässt sich eindeutig schließen, dass ein Gebäudeabriss für einen Ersatzneubau aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll ist.
Nur mit einer Umbaukultur, die die grauen Emissionen nutzt und beim Weiterbauen auf den ökologischen Fußabdruck der verwendeten Materialien achtet, wird das Bauwesen nachhaltiger und den Klima- und Umweltschutzzielen gerecht.
Zum Energieaufwand über den Lebenszyklus eines Gebäudes kommen noch die
In den Gebäuden und in den riesigen Abfallbergen aus Baurestmassen steckt aber auch viel Potenzial. Grundsätzlich können alle Gebäude, Bauwerke und Bauabfälle als Rohstofflager verstanden werden, aus denen neue Baumaterialien hergestellt oder gleich als Bauelemente wiederverwendet werden. Das Wuppertal Institut erhob 2022
Vorsicht vor den Reboundfallen
Energie- und Rohstoffpreise befanden sich bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine auf einem hohen Niveau, doch spätestens seit Februar 2022 gewannen die Themen Energie, Energiesparen, thermische Sanierung und Umstellung der Heizsysteme auf erneuerbare Energieträger so viel Aufmerksamkeit, wie schon lange nicht mehr. Die Wartezeiten für Energieberatungen vor Ort betrugen plötzlich mehrere Monate, dasselbe galt für Handwerker, Photovoltaikanlagen oder andere Baukomponenten. Die Preise schossen weiter in die Höhe. Als Reaktion darauf wollten sich nicht wenige EFH-Eigentümer:innen ihrer Öl- oder Gaskessel so rasch als möglich entledigen. Dabei fiel die Wahl häufig auf eine Luft- Wasser-Wärmepumpe, da diese recht einfach zu installieren ist, keine Bohrungen oder aufwendigen Erdarbeiten erfordert und die Wärmequelle Luft leicht zugänglich ist. Auf eine Optimierung der Gebäudehülle wurde allerdings gern verzichtet, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass der Wirkungsgrad der eingebauten Wärmepumpe sehr niedrig ist, oder, anders ausgedrückt, man sich eine unwirtschaftliche Stromheizung eingebaut hat, die weder Kosten senkt noch der Umwelt nützt. Im Gegenteil. Doch höchstwahrscheinlich werden in diesen Fällen die kommenden Stromrechnungen den Anstoß zur Gebäudesanierung geben.
Ein Anstieg der Sanierungsrate wäre in jedem Fall dringend notwendig, sollen die Klimaschutzziele noch erreicht werden. Denn die Sanierungsrate stagniert österreichweit – insbesondere im Ein- und Zweifamilienhausbereich – schon seit Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau von 1,4
Parallel zur Sanierung muss allerdings auch das Nutzer:innenverhalten angepasst werden, damit man nicht in die Rebound-Falle tappt. Denn selbst bei gut sanierten Häusern geht der Einspareffekt oft verloren, wenn nach der Sanierung mehr Fläche beheizt wird als davor, oder die Raumtemperatur im Winter auf 26° angehoben wird. Zu diesen „klassischen“ Rebound-Effekten kommt noch die Tatsache hinzu, dass wir alle auf immer größeren Fuß leben: die durchschnittliche Wohnfläche der Hauptwohnsitze ist in Österreich von 86,3 m² im Jahr 1994 auf 100,0 m² im Jahr 2019 angestiegen
Die größer werdende Wohnfläche pro Kopf begründet sich nicht nur mit dem gestiegenen Wohlstand unserer Gesellschaft. Die stetig steigende Anzahl von Singlehaushalten, die mindergenutzten Flächen im Bestand und die Leerstände tragen ebenfalls ganz maßgeblich dazu bei. Zum Zeitpunkt der Registerzählung 2011 sind knapp 21% aller österreichischen Einfamilienhäuser nur von einer Person und 31% nur von zwei Personen bewohnt worden. Das heißt aber auch, dass in mehr als der Hälfte aller Einfamilienhäuser (51,96%) noch beachtliche räumliche Kapazitäten verfügbar sind
Die Grafik des Wuppertal Instituts zeigt eindrücklich, dass der Raumwärmebedarf pro m2 Wohnfläche durch die Investitionen in Energieeffizienz kontinuierlich abnimmt (rosa Kurve). Weil aber gleichzeitig die Wohnfläche pro Kopf seit den 1960er Jahren kontinuierlich zugenommen hat (orange Kurve), werden die positiven Effekte der Energieeffizienz wieder aufgehoben. Nimmt man den Raumwärmebedarf pro Kopf und Jahr als Maßstab (schwarze Kurve), so befinden wir uns heute auf dem Stand von 1970.
Unabhängig davon ist die Flächeninanspruchnahme durch EFH und ZFH enorm: die bei Ein- und Zweifamilienhäusern überbaute Grundfläche ist bei annähernd gleich vielen Personen mit Hauptwohnsitz mehr als drei Mal so groß wie beim Mehrfamilienhaus. Auf einen Hektar Fläche passen rund 10 Einfamilienhäuser (bei einer Grundstücksgröße von 1000m2), beim Bau einer Reihenhaussiedlung können bereits doppelt so viele Wohnungen, rund 20, errichtet werden und im dichteren Geschoßbau sind bis zu 100 Wohneinheiten auf einem Hektar möglich.
Ressource Boden - ein kostbares Gut
Bevölkerungswachstum , Wirtschaftswachstum, Wohnflächen, Bodenverbrauch und Zersiedelung sind stark miteinander gekoppelt. Baulandzunahme bei Bevölkerungszunahme ist die Regel. Die Flächenversiegelung wuchs jedoch im Beobachtungszeitraum 2001 bis 2019 deutlich schneller als die österreichische
Im Durchschnitt der letzten drei Jahre wurden in Österreich pro Tag 11,3 ha an Flächen neu in Anspruch genommen. Der Großteil davon geht aufs Konto von Wohn-/Geschäftsgebieten und Betriebsflächen. Von den laut Regierungsprogramm 2020-2024 angestrebten maximal 2,5 ha pro Tag im Jahr 2030 ist Österreich noch meilenweit entfernt.
Die verfehlte Raumplanung und Siedlungspolitik der letzten Jahrzehnte hat zur Folge, dass immer mehr Fläche versiegelt wird, viele Ortszentren vom Aussterben und viele Regionen von Abwanderung bedroht sind. Das Auto ist in vielen Regionen die einzige Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Die Wege vom Wohnort zum Arbeitsplatz, zu Geschäften des täglichen Bedarfs oder zu wichtiger Infrastruktur werden immer weiter, da die Neubausiedlungen in den wenigsten Fällen öffentlich erreichbar sind.
Das führt zu einer weiteren bedeutsamen Nebenwirkung der Zersiedelung, bzw. dem Einfamilienhaus als deren hauptsächlicher Verursacher, nämlich dem Anstieg der Treibhausgasemissionen durch den Verkehrssektor. Letzter ist die in absoluten Zahlen größte Herausforderung für das Klima und war im Jahr 2021 für 28% aller nationalen Treibhausgasemissionen Österreichs verantwortlich. Fast 100% der dort verorteten Emissionen resultieren aus dem Straßenverkehr. Innerhalb des Straßenverkehrs entstehen wiederum 12,15 Mio. Tonnen und damit fast 16 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen Österreichs durch den Personenverkehr (PKW, Busse, Mofas, Motorräder) und nicht, wie vielfach gemeint wird, aus dem Straßengüterverkehr
Österreich und Deutschland sind für mehrere Jahrzehnte weitestgehend gebaut.
Fazit
Österreich und Deutschland sind für mehrere Jahrzehnte weitestgehend gebaut. Das Potenzial des Gebäudebestands, sowohl an nutzbarer Fläche, an verbauten Ressourcen, als auch an Einsparmöglichkeiten bei Energieverbräuchen im Wärme- und Mobilitätsbereich ist enorm. Den bereits gebauten Einfamilienhäusern kommt dabei die größte Bedeutung zu. Durch regelmäßige Pflege und Instandhaltung, durch umfassende Sanierungen bei gleichzeitig angepasstem Nutzer:innenverhalten, durch kluge Raumaufteilung und Erweiterung der Wohnnutzung um andere Nutzungsmöglichkeiten sowie durch eine Erhöhung der Zahl der Menschen, die im Haus leben und arbeiten, kann die Lebensdauer von Einfamilienhäusern maßgeblich verlängert werden. Werden zusätzlich auch noch das Potenzial der Gärten rund ums Haus und auf sozialer Ebene die Möglichkeiten einer gelebten Nachbarschaft in Siedlungsgebieten voll ausgeschöpft, dann stellen Einzelobjekte und Einfamilienhaussiedlungen nicht nur hauptsächlich flächenversiegelnde Energieschleudern dar, sondern können als wertvolle Gebäudereserve der Zukunft verstanden werden.
Was können wir tun
Leerstände nützen, Raumpotenzial ausschöpfen
Mit der Weiterentwicklung von Einfamilien- zu Mehrpersonenhäusern (MPH), wie es im ReHABITAT-Ansatz (www.ecology.at/ecology/rehabitat.htm) vorgeschlagen wird, könnte das Potenzial gehoben werden. Unter Mehrpersonenhaus wird ein Haus verstanden, in dem mehrere Menschen in einer Hausgemeinschaft zusammenleben, die nicht zwangsläufig einer Familie angehören. Mit einer klugen Raumaufteilung werden zusätzliche Wohneinheiten geschaffen. Getrennt begehbare Wohneinheiten sind dabei ebenso möglich wie diverse Zwischenabstufungen hin zur Wohngemeinschaft. Ein Einfamilienhaus kann neben dem Wohnen mit wenigen Eingriffen auch als Büro, Praxis, Werkstatt, Café, Geschäft etc. genutzt werden, bzw. lassen sich Wohnen und Arbeiten meist bestens kombinieren, was sowohl dem Trend zum Home-Office entgegenkommt als auch neue Funktionen in monofunktionale Siedlungsgebiete bringt. Der Bedarf an betreubarem oder betreutem Wohnen steigt. Platz für eine Betreuungsperson ist in mindergenutzten Häusern meist reichlich vorhanden, doch was neben der Pflege und dem Versorgen mit warmen Mahlzeiten aus Zeitmangel oder wegen Sprachbarrieren oft auf der Strecke bleibt, ist der Austausch und die Gesellschaft mit anderen. Würde ein Teil des Hauses vermietet werden, bspw. an eine Familie mit Kindern, wäre automatisch wieder mehr Leben im Haus und gegenseitige Hilfestellungen würden das Leben aller erleichtern. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die betreute Person Gesellschaft und gegenseitige Unterstützung will und ihr Gesundheitszustand eine solche zulässt.
Ganz wichtig ist abzuklären: was will ich, mit wem will ich, was trau ich mir zu?
Die persönliche und ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Wohn- und Lebens-Bedürfnissen, sowie die Abstimmung mit anderen sind in jedem Fall zu empfehlen und für die Wahl der passenden Hausgemeinschaft essenziell.
Der Verkauf oder Tausch des Hauses und der Umzug in eine Wohnung, die zu den aktuellen Bedürfnissen passt, ist eine weitere Handlungsoption im Umgang mit nicht mehr als „Einfamilien-Haus“ genutzten Gebäuden.
Das Raumpotenzial von leerstehenden und mindergenutzten Einfamilienhäusern ist enorm.
Gemeinschaften fördern und Aufenthaltsqualitäten schaffen
Ein robustes Nachbarschaftsnetzwerk erhöht die Lebensqualität und erweitert die Möglichkeiten enorm, von den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Gebäude, Grünflächen, Gerätschaften etc.) zu profitieren, ist jedoch in einer Einfamilienhaussiedlung alles andere als selbstverständlich. Es entsteht nicht von selbst und bedarf einer regelmäßigen Pflege und Wartung. Gemeinsame Feste, Ausflüge, Flohmärkte oder „Talentebörsen“ sind gute Gelegenheiten, die Gemeinschaft zu fördern. Nahezu überall finden sich Menschen mit ausgeprägteren sozialen Fähigkeiten, die Zeit und Lust haben, derartige Aktivitäten zu organisieren. Das Zusammenfinden und der Austausch außerhalb der eigenen vier Wände wird umso einfacher, je mehr Aufenthaltsqualität der öffentliche Raum hat. Damit dieser in erster Linie wieder für die Menschen zur Verfügung steht, sollten die Straßen verkehrsberuhigt und von parkenden Autos freigehalten werden, das Durchfahren nur mehr in Schritttempo erlaubt sein, Asphalt- und Betonfahrbahnen durch versickerungsfähige Bodenbeläge ersetzt, Bäume gepflanzt, Sitz- und Spielgeräte für unterschiedliche Altersgruppen errichtet und „Schwarze Bretter“ als Kommunikationsplattformen zur Verfügung gestellt werden.
„Nachbarschaftshilfe ist essenziell dafür, dass die Siedlung lebenslang lebenswert bleibt.“
Die Gestaltung des öffentlichen Raums liegt nicht in der Hand der Siedlungsbewohner:innen. Diesbezügliche Vorschläge können jedoch bei der Kommune deponiert werden. Da sich mittlerweile fast jede Gemeinde das ein oder andere Nachhaltigkeitsziel gesteckt hat, stehen die Chancen gut, hierbei auf offene Ohren zu stoßen. Das Aufstellen einer Hausbank im Vorgarten und das Pflanzen von schattenspendenden Bäumen auf Privatgrund fördern den sozialen Austausch bereits erheblich und sind ein erster Schritt, der jederzeit umgesetzt werden kann.
Mehr und vielfältigeres Grün im Garten…. und viel Energie
Grünflächen in Einfamilienhaus -Siedlungen werden, ungeachtet der Tatsache, wie viel ungenutzten Wohnraum es in den Häusern gibt, gerne für Nachverdichtungsszenarien herangezogen. Dabei ist das Potenzial der Ressource Boden noch viel besser genutzt, wenn Gärten - weg vom englischen Rasen hin zu Blumenwiesen - wieder naturnäher angelegt werden, um als lokale Ökosysteme zu fungieren, die die Biodiversität fördern und die Vernetzung der Lebensräume von Pflanzen und kleineren Wildtieren ermöglichen. Auf die Wahl standortgerechter und hitze- und trockenheitsunempfindlicher heimischer Baum- und Straucharten sollte geachtet werden.
Der Zusammenschluss mehrerer Gärten zu privaten Nachbarschaftsgärten erlaubt Nutzungen, die weit über die Möglichkeiten auf dem eigenen Grundstück hinausgehen. Beispielhaft angeführt seien an dieser Stelle ein großzügiger Naturschwimmteich, eine Versickerungsmulde als Teil eines ökologisches Regenwassermanagements oder ein Obst- und Gemüsegarten zur Selbstversorgung, in dem das gemeinsame Gärtnern mehr Freude macht.
Eine andere Verwendungsmöglichkeit von Nachbarschaftsgärten wäre die gemeinschaftliche Energieproduktion. Der Wandel vom reinen Energiekonsumenten zum Produzenten (z.B. Photovoltaik) eröffnet besonders für Siedlungsgemeinschaften neue Perspektiven. Denn seit Juli 2021 ist es in Österreich auch Privatpersonen möglich, sich über Grundstücksgrenzen hinweg zu „Erneuerbaren Energiegemeinschaften (EEG)“ zusammenzuschließen und Strom, Wärme und Gas aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen, speichern, verbrauchen und zu verkaufen. Bislang werden die EEGs fast ausschließlich zur gemeinschaftlichen Stromproduktion genutzt. Die Vorteile einer erneuerbare Energiegemeinschaft lassen sich aber auch für die Wärmeversorgung nutzen. Stellen wir uns vor, sieben Häuser mit aneinandergrenzenden Grundstücken entsorgen ihre alten Heizkessel und werden künftig durch Nahwärme (Mini-BHKW – Kleinstblockheizkraftwerk mit Pellets) versorgt, die sie selbst betreiben (z.B. als Verein oder Genossenschaft). Ein 20m2 kleines Heizhaus mit Mini-BHKW wird gemeinsam am Rande des Nachbarschaftsgartens errichtet und betrieben. Mittels Wärmeleitung werden die Haushalte, wie bei der Fernwärme, mit heißem Dampf für Heizung und Warmwasser versorgt. In den Häusern gibt es keine Verbrennungseinheit mehr, sondern nur eine wartungsfreie Übergabestation mit Wärmemengenzähler und den Heizkreisen (Warmwasser, Hochtemperaturkreis für Radiatoren, Niedertemperaturkreis für Fußbodenheizung). Ein gemeinschaftlicher Umstieg würde sich auch kostentechnisch mehr als nur rechnen. Die im Projekt ReHABITAT -Siedlung ermittelten Grobkosten beliefen sich auf 17.500€ für den individuellen Einbau eine Wärmepumpe (nach Abzug von Förderungen) versus 9.450€ pro Haushalt für die Errichtung eines Mini-BHKW für Einfamilienhäuser, deren Eigentümer:innen sich die Kosten teilen.
Als erster Schritt zum Nachbarschaftsgarten wird empfohlen Breschen in die Grundstückseingrenzungen zum Nachbargrundstück zu schlagen (Foto Luecke in Hecke) und /oder anstelle der Zäune, Mauern oder Hecken auf der Grenzlinie der seitlichen Abstandsflächen Hochbeete aufzustellen, um die sich die Nachbar:innen gemeinsam kümmern. Das ein oder andere Hochbeetelement könnte auch als Sitzgelegenheit umfunktioniert werden, auf dem man sich auf „neutralem Terrain“ zu einem Austausch treffen kann.
Sämtliche der genannten Vorschläge wurden im Rahmen der „ReHABITAT“- Forschungsprojekte erarbeitet, die, geleitet vom Österreichischen Ökologie-Institut und in unterschiedlichen Partnerkonstellationen, zwischen 2013 und 2022 durchgeführt wurden.
Links zu den drei ReHABITAT Projekten:
Quellen
-
1
STATISTIK AUSTRIA (2004): Gebäude- und Wohnungszählung 2001, Hauptergebnisse Österreich, S.81, Tabelle B13a: Wohnungen (Hauptwohnsitze) und Nutzfläche nach Art des (Wohn-)Gebäudes, Heizungsart, Energieträger, https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Gebaeude-_und_Wohnungszaehlung_2001__Hauptergebnisse_OEsterreich.pdf
-
2
STATISTIK AUSTRIA (2019): Energiearmut in Österreich 2016, Haushaltsenergie und Einkommen, Mikrozensus Energie und EU-SILC – Statistical Matching, https://www.statistik.at/fileadmin/publications/EnergiearmutinOEsterreich2016-Haushaltsenergieund_Einkommen.pdf
-
3
Mangels Daten sind die Ressourcenverbräuche nicht Einfamilienhausspezifisch, sondern nehmen generell auf den Bausektor Bezug
-
4
Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (2017): Bundesabfallwirtschaftsplan BAWPL 2017, Teil 1, S.28, Tabelle 1: Abfallaufkommen im Jahr 2015 (t), https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/abfall/aws/bundes_awp/bawp.html, Zugriff am 31.10.2023
-
5
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (2022): Umgang mit dem Bestand in Zeiten des Klimawandels. Studie im Auftrag der Bundesstiftung Baukultur. Wuppertal.
-
6
Amann, Wolfgang (April 2020): Definition und Messung der thermisch-energetischen Sanierungsrate in Österreich, S.32
-
7
STATISTIK AUSTRIA (2021): WOHNEN Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik Wohnen 2020, S. 32, https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Wohnen_2020_-_Zahlen__Daten_und_Indikatoren_der_Wohnstatistik.pdf
-
8
STATISTIK AUSTRIA Registerzählung 2011, Auswertung und Berechnung Österreichisches Ökologie-Instituts, Wien 2018
-
9
STATISTIK AUSTRIA Registerzählung 2011, Auswertung und Berechnung Österreichisches Ökologie-Instituts, Wien 2018
-
10
STATISTIK AUSTRIA (2021): Wie geht´s Österreich? Indikatoren und Analysen von 2000 bis zum COVID-19-Krisenjahr 2020, S. 104, https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Wie_geht__s_OEsterreich__2021.pdf
-
11
Umweltbundesamt GmbH (2023): Klimaschutzbericht 2023, https://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/publikationen/rep0871bfz.pdf
-
12
https://vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/vcoe-in-oesterreich-wird-im-eu-vergleich-am-zweithaeufigsten-mit-bahn-bim-und-bus-gefahren, Zugriff am 10.10.2023
Titelbild
Österreichisches Ökologie-Institut