Das Bestandseinfamilienhaus – ein blinder Fleck in der Stadtplanung
Das Einfamilienhaus prägt seit Jahrzehnten als Bautyp und Wohnform die Stadtentwicklung in Deutschland – quantitativ und qualitativ. Zwar ist die städtebaulich qualifizierte Planung dieser Gebiete ein kontinuierlich verfolgtes Thema in der Stadtplanung. Aber die Erneuerung und Weiterentwicklung der Einfamilienhausgebiete, ihre immensen Umbaupotenziale und die Möglichkeiten zur Nutzungsintensivierung sind bisher nicht Gegenstand der Stadtentwicklung und Stadterneuerung. Die spezifischen Problemlagen der in der Regel monostrukturierten Gebiete, ihre Herausforderungen und ihre Potenziale für eine nachhaltige, bestandsorientierte Stadtentwicklung wurden bislang nicht erkannt.
Die Gebiete richteten sich zu ihrer Entstehungszeit an die Zielgruppe der jungen Familien. Mit dem Bezug der Häuser verschwanden die Einfamilienhaussiedlungen jedoch vom städtischen Radar der Stadtentwicklung. Planerische Eingriffe unterblieben zum einen, da die Einfamilienhausgebiete als „Selbstläufer“ erachtet wurden. Zum anderen wurden und werden Interventionen seitens der öffentlichen Hand oder der Kommunalpolitik aufgrund der kleinteiligen Eigentümerstruktur und dem damit verbundenen eingeschränkten Handlungsspielraum als schwierig bewertet.
Zum Hintergrund: Siedlungstypen
Der Gebietstyp der niedrig verdichteten Wohnsiedlung griff nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer weiter in das Umland hinaus. Wohnungspolitisch wurde diese Entwicklung durch die Förderung des Eigenheimbaus kontinuierlich unterstützt. Stadterweiterung durch den Bau neuer Wohnsiedlungen prägte Jahrzehnte lang die Stadtentwicklung in Deutschland. Voraussetzung waren Baulandreserven, meist wurden agrarisch genutzte Flächen genutzt. Das Steuerrecht (z. B. Grunderwerbssteuer) und staatliche Subventionen (Abschreibungsmöglichkeiten, Baukindergeld, Eigenheimzulage bis 2006) haben den Stadterweiterungen Vorschub geleistet.
Es gibt unterschiedliche Siedlungstypen mit Einfamilienhäusern
In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden umfangreiche Baulandausweisungen nach dem Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt (Zeitraum 1950–1965
Leitbild Gegliederte und aufgelockerte Stadt
Die Siedlungsneubauten der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre folgten dem Leitbild der Charta von Athen, das eine funktionsgetrennte Stadt in Wohnen, Produktion, Daseinsvorsorge, Verkehr, Erholung) vorsah. Die gegliederte und aufgelockerte Stadt ist durchgrünt, die Wohnhäuser sind in Zeilen oder Reihen angelegt und erlauben eine Durchflutung von „Licht, Luft und Sonne“. Einzelne Hochhäuser stellen städtebauliche Dominanten und Orientierungspunkte dar. Es entstanden Siedlungen oder ganze Stadtteile mit mehreren tausend Wohnungen.
Leitbild Urbanität durch Dichte
In den 1960er und 1970er Jahren setze sich das Leitbild „Urbanität durch Dichte durch
Nach den umfangreichen Stadterweiterungen der Nachkriegsjahrzehnte und einer eher verhaltenen Entwicklung bis Ende der 1980er Jahre sowie einem zum Teil durch Landesprogramme unterstützten Wachstumsschub in den 1990er Jahren (z. B. Wohn- und Siedlungsmodelle Bayern, Wohnungsbauschwerpunkte Baden-Württemberg) ist in Deutschland seit der Jahrtausendwende insgesamt ein flächenmäßiger Rückgang größerer Stadterweiterungen mit Einfamilienhäusern „auf der grünen Wiese“ zu beobachten. Gleichzeitig ist eine stark ausdifferenzierte Entwicklung wachsender, stagnierender oder schrumpfender Kommunen charakteristisc
Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung – begrenzte Erfolge
Mit dem Aufkommen des Typus Einfamilienhaus als Wohnform für breite Schichten der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg waren Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung verbunde
Die verschiedenen Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung des Einfamilienhausneubaus konnten jedoch nur Modelle bleiben. Grund dafür ist – konstant seit 70 Jahren – die Ambivalenz zwischen städtebaulich qualifizierter Planung, staatlicher Förderung und Akzeptanz verdichteter Bauweisen in der Bevölkerung. Die staatliche Förderung des Einfamilienhauses als eigentumsorientierte Wohnform ist bis heute nicht an eine städtebauliche Qualifizierung gebunden. „Die Bemühungen des Bundes, den Ein- und Zweifamilienhausbau städtebauliche zu qualifizieren, standen immer hinter den wohnungspolitischen Zielsetzungen der Förderung des Eigenheimbaus zurück.
Einfamilienhausgebiete – Chancen für eine nachhaltige Entwicklung
Die städtebaulichen Probleme der in die Jahre gekommenen Bestandsgebieten werden schon lange diskutiert, insbesondere der schleppende Generationenwechsel, die daraus folgende „Überalterung“, die inneren Leerstände und die damit verbundenen Herausforderungen sind hinlänglich bekannt. Zugleich ist das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung breiter Konsens. Aber dennoch werden die immensen Potenziale der bestehenden Einfamilienhaussiedlungen für die nachhaltige Stadtentwicklung nicht genutzt. Die Gebiete werden in der (geförderten) Stadterneuerung ausgespart, die Instrumente des Besonderen Städtebaurechts finden keine Anwendung. Viele Gemeinden weisen weiterhin Erweiterungsflächen für Einfamilienhäuser aus, unabhängig davon, ob damit langfristig eine fiskalisch kluge Baulandstrategie verfolgt wird. Diese „Wachstumsambitionen“ begründet aus der Motivation, dem Rückgang der Bevölkerung entgegenzuwirken und im Wettbewerb der Kommunen um Unternehmen und Arbeitsplätze bestehen zu können, sind weit verbreitet
Die Forschungsprojekte der Wüstenrot Stiftung zu den Entwicklungspotenzialen von Einfamilienhausgebieten machen deutlich, wie die Bestände weiterentwickelt werden können: mit ausgeprägtem kommunalem Engagement, intensiver Beteiligung, kreativen Ideen, Impulsprojekten und lokalem Bürgerengagement. Es gibt eine Reihe von formellen und informellen Instrumenten, die zur Weiterentwicklung von Einfamilienhausgebieten angewendet werden können. Bestehende Gebiete sind jedoch selten Bestandteil übergeordneter, auch informeller Planungen, die die Ziele der Stadtentwicklung reflektieren und in integrierten Konzepten Leitlinien für künftige Entwicklungen aufzeigen. Die suburbanen Wohngebiete werden oft ausgespart. Viele ältere Einfamilienhausgebiete befinden sich zudem außerhalb rechtskräftiger Bebauungspläne.
Die Bauleitplanung hat das Ziel, die „natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“ (§ 1 Abs. 5
BauGB). „Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen“ (§ 1 Abs. 5 BauGB). Die über lange Jahre auf die Stadterweiterung (Außenentwicklung) ausgerichtete Bauleitplanung wird in Zukunft primär die Innenentwicklung in den Mittelpunkt stellen und daher auch bestehende Einfamilienhausgebiete betrachten müssen. Die oben genannten, auf den Neubau von Einfamilienhäusern bezogenen Feststellungen lassen sich hervorragend auf den Umgang mit dem Bestand übertragen. Die öffentliche Hand darf sich nicht aus der städtebaulichen Qualifizierung der immensen Bestände von Ein- und Zweifamilienhaussiedlungen zurückziehen. Ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten gilt es zu nutzen.
Vom blinden Fleck zum Handlungsfeld der nachhaltigen Stadtentwicklung
In unseren Forschungen haben wir aufgezeigt, welche großen Chancen für eine nachhaltige Entwicklung in den niedrig verdichteten Wohnsiedlungen stecken (vgl. Wüstenrot-Stiftung 2012 und 2016). Den Kommunen steht ein breites Portfolio an Instrumenten zur Verfügung, das noch viel zu selten Anwendung findet. Aber sie sind selbstverständlich nicht die allein handelnde Ebene, gefragt ist ebenso die Bundesebene mit einem klaren Bekenntnis zu einer suffizienten und resilienten Stadtentwicklung. Hierfür werden bedeutsame Ansatzpunkte in den Einfamilienhaussiedlungen gesehen. Es müssen allerdings die richtigen Weichen gestellt werden, in der Gesetzgebung, Förderung und Steuerpolitik.
Bisher unterschätzt sind die Instrumente, die ergebnisoffen Ideen fördern und oftmals ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen, z.B. städtebauliche Ideenwettbewerbe oder iterative, partizipativ angelegte Planungskonkurrenzen. Sie bieten eine profunde Basis für qualifizierte Planungsprozesse. Bestehende Einfamilienhausgebiete profitieren bislang jedoch kaum davon. Wenn es gelänge, den Mehrwert der städtebaulichen Entwicklung aufzuzeigen, könnte die Integration dieser Gebiete in eine nachhaltige Stadtzukunft gelingen
Quellen
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1
Empirica (Hg. 1993): Große Wohngebiete der 90er Jahre. Unveröffentlicht.; Simon-Philipp, Christina (2018): Stadterweiterung, in: ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt‐ und Raumentwicklung Hannover 2018, S. 2451-2458; https://www.arl-net.de/system/files/media-shop/pdf/HWB%202018/Stadterweiterung.pdf (letzter Zugriff 03.11.2023)
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2
vgl. Göderitz, J.; Rainer, R.; Hoffmann, H. (1957): Die gegliederte und aufgelockerte Stadt. Tübingen.
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3
vgl. Simon, Christina (2001): Suburbane Wohngebiete – Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung des in- und Zweifamilienhauses in Deutschland 1949-1999. Dissertation. Stuttgart.
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4
vgl. Hopfner, Karin; Simon-Philipp, Christina; Wolf, Claus (Hg. 2012): größer höher dichter. Wohnen in Siedlungen der 1960er bis 1970er Jahre in der Region Stuttgart. Stuttgart
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5
BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hg. 2021): Raumordnungsbericht 2021. Bonn, S.130.
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6
vgl. Simon, Christina (2001): Suburbane Wohngebiete – Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung des in- und Zweifamilienhauses in Deutschland 1949-1999. Dissertation. Stuttgart.
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7
Simon, Christina (2001): Suburbane Wohngebiete – Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung des in- und Zweifamilienhauses in Deutschland 1949-1999. Dissertation. Stuttgart., S. 382.
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8
Simon, Christina (2001): Suburbane Wohngebiete – Konzepte zur städtebaulichen Qualifizierung des in- und Zweifamilienhauses in Deutschland 1949-1999. Dissertation. Stuttgart., Zusammenfassung, o.S..
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9
Simon-Philipp, Christina (2018): Stadterweiterung, in: ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt‐ und Raumentwicklung Hannover 2018, S. 2451-2458; https://www.arl-net.de/system/files/media-shop/pdf/HWB%202018/Stadterweiterung.pdf (letzter Zugriff 03.11.2023)