Aus eins mach zwei – Die Transformation der Einfamilienhausgebiete
Am 19. Juni 2024 veranstaltete die Bundesstiftung Baukultur in Kooperation mit der HFT Stuttgart und der Wüstenrot Stiftung ein Forum zur Transformation des Einfamilienhauses anlässlich des Konvents der Baukultur. Ein Tagungsbericht von Carolin Kleist.
In Deutschland gibt es 16,1 Millionen Einfamilienhäuser. Damit sind sie der häufigste Wohngebäudetyp im Land. Doch lediglich ein gutes Drittel der Menschen bewohnt die Häuser, darunter immer mehr alleinstehende Personen. Die überschüssige Wohnfläche bleibt dann häufig ungenutzt.
Das Einfamilienhaus gehört für viele fest zum eigenen Lebensmodell, hat sich als Familienwohnsitz und Altersvorsorge längst gesellschaftlich etabliert. Die Siedlungen gehören Land auf, Land ab zum Ortsbild und obwohl sie erhebliche Infrastrukturkosten erzeugen, zu Lasten der Allgemeinheit, und in hohem Maße Flächen versiegeln, weisen Städte und Gemeinden weiter Bauland für Einfamilienhäuser aus, ihr Neubau wird nach wie vor staatlich gefördert. In Anbetracht dieses großen, immer noch wachsenden Gebäudebestands, plädierte Reiner Nagel in seinem Impulsvortrag zum Auftakt des Forums für Umbau an Stelle von noch mehr Neubau. Der Titel "Aus eins mach zwei" steht für: Umbau, Anbau, Aufbau oder Erweiterung und bringt Dynamik in bestehende Einfamilienhausgebiete. „Denn“, so Reiner Nagel: „Wir müssen weg vom reinen Wohngebiet, hin zum Quartier, zu mehr Durchmischung und mehr Dichte“. Doch wie gelangen wir zu diesen Veränderungen, die sozial mehr Nähe und baulich mehr Quartiersqualitäten mitbringen? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Vorträge und Diskussionen des Tages, an denen sich das Fachpublikum rege beteiligte.
Wohnökonom und Autor Daniel Fuhrhop betrachtet Einfamilienhäuser als wertvollen Schatz, der nicht nur den Wohnungsmangel lindern kann. Eine effektivere Nutzung des bestehenden Raums würde auch zwei weitere gesellschaftliche Herausforderungen adressieren: Die Klimakrise und die wachsende Einsamkeit im Alter. Politik und Kommunen sollten sich darauf konzentrieren, den im Überfluss vorhandenen Wohnraum in Einfamilienhausgebieten zu aktivieren, zum Beispiel durch Wohnraumvermittlungsbörsen, Vermieterschutzgarantien, Beratung und Förderung. Cord Soehlke ist Tübingens Baubürgermeister und kann nicht nur gute Umbaubeispiele vorweisen - kostenlose Beratungen und Wohnraumbörsen sind in der Universitätsstadt Teil des städtischen Angebots. Jedoch macht er zugleich deutlich: Den einen großen, skalierbaren Hebel gibt es nicht. Der Transformationsprozess gestaltet sich kleinteilig und individuell, was besonders kleine Kommunen überfordert. Planerische und rechtliche Hürden thematisierte auch Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu). Neue Möglichkeiten für Bebauungspläne im Bestand hält sie für dringend notwendig. Doch Einfamilienhausgebiete würden von vielen Kommunen noch nicht als Transformationsräume mit Potenzial betrachtet. Eine Gebietstypänderung von reinen Wohngebieten sollte einfacher möglich sein und könnte durch informelle Planungsinstrumente wie Stadtentwicklungspläne (STEP) oder ein spezielles Städtebaurecht erreicht werden, schlägt Frau Pätzold vor.
In der Schweiz ist das Prinzip „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ bereits seit zehn Jahren gesetzlich verankert. Hier berät Mariette Beyeler Kommunen und Hauseigentümer bei der qualitativen Weiterentwicklung von Einfamilienhaussiedlungen mit ihrer Agentur MetamorpHouse. Sie berichtet von erfolgreich umgesetzten Projekten, aber auch von Widerständen: „Den Gemeinden fehlt es oft noch an Vorstellungskraft, wie ein nachverdichtetes Quartier aussehen könnte.“ Und Anja Reichert-Schick von der Wüstenrot Stiftung fügt an: "Wir reden immer über Denkräume, aber wir brauchen auch gute Beispiele, um zu zeigen, wie man vorangehen könnte." Ein Problem sieht Christina Simon-Philipp von der Hochschule für Technik Stuttgart in veralteten Denkmustern: „Viele Planer und Kommunen haben nach wie vor nur Abriss und Neubau im Blick. Umbau muss daher zu einem Themenschwerpunkt in der Lehre werden“.
Von einer anderen Seite betrachtet Thomas Auer den Einfamilienhausbestand und sieht in ihm einen Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung des Bauens. Der Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München schlägt vor: "Wir brauchen Geschäftsmodelle für schlüsselfertige Sanierungen aus einer Hand. Planer müssen mit Ausführenden zusammenarbeiten." Doch auch wenn sich der Blick auf verschiedene Akteure und Ziele richtet, im Grundsatz sind sich alle einig: Einfamilienhausgebiete bergen großes Potential. Kommunikation zwischen politischen Entscheidern und versierten Planern kann ein Schlüssel sein, damit an den entsprechenden wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Stellschrauben der Transformation gedreht wird. Im Forum kamen zahlreiche konkrete Lösungsansätze auf den Tisch. Doch es geht auch um eine anpackende, zuversichtliche Haltung – das klang in den Impulsen und Gesprächen immer wieder durch.
Moderation: Carolin Kleist, Bundesstiftung Baukultur
Begrüßung und Einleitung: Dr. Valerie Rehle, HFT Stuttgart; Verena Marie Loidl, HFT Stuttgart
Referenten und Referentinnen: Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur; Prof. Dr. Christina Simon-Philipp, HFT Stuttgart; PD Dr. Anja Reichert-Schick, Wüstenrot Stiftung; Daniel Fuhrhop, Ökonom und Autor; Dr. Mariette Beyeler, Architektin (CH); Ricarda Pätzold, Deutsches Institut für Urbanistik (difu); Cord Soehlke, Baubürgermeister der Stadt Tübingen; Prof. Thomas Auer, TU München
Titelbild
Till Budde