Der unsichtbare Leerstand im Einfamilienhaus
Wie mehr Kommunikation, Kooperation und Kollaboration es möglich machen kann, die riesigen Flächenpotentiale von bestehenden Einfamilienhäusern besser zu nutzen. Ein Gastbeitrag von Torsten Klafft und Roland Gruber
Einfamilienhäuser sind für die meisten Deutschen und Österreicher:innen der Traum von Selbstverwirklichung und Zeichen dafür, dass man es geschafft hat. Doch wird dieser Traum von einem Chor von Kritiker:innen begleitet, denn er ist untrennbar verknüpft mit Bodenversiegelung, sozialer Abgrenzung und Zersiedelung. Rund 16 Millionen Einfamilienhäuser stehen in
Was ist problematisch an Einfamilienhäusern?
Oftmals wird in Fachdiskursen die Typologie des Einfamilienhauses grundsätzlich in Frage gestellt. Die Kritik begleitet schon seine gesamte Geschichte, doch die Beliebtheit tut das keinen Abbruch. 65% der Deutschen wollen so
Ökonomie: Falsche wirtschaftliche Sicherheitsversprechen
In Deutschland wie auch Österreich sind die ländlichen Räume prägend. Rund 70 Prozent der Fläche und etwa 60 Prozent der Einwohner:innen sind bzw. leben in ruralen Gebieten. Hier fand in den letzten Jahrzehnten Siedlungsentwicklung vorwiegend in Form von Einfamilienhäusern am Ortsrand statt, während gleichzeitig die Ortskerne
In fast jeder Familie kann jemand von Eltern, Großeltern oder Bekannten berichten, deren Haus ihnen eigentlich zu groß ist. Dabei stehen größere Sanierungen meist dann an, wenn die Rente kaum zum Heizen des großen Hauses reicht und das Ersparte in die Ausbildung der Kinder gesteckt wurde, die sich wiederum weit weg rund um ihre Studien- oder Arbeitsorte sesshaft gemacht haben. Die einzelnen Fälle sind immer sehr individuell, aber das Problem ist strukturell: Noch immer wird das Einfamilienhaus als Lebenstraum vermarktet und nicht als Wohnlösung für einen Lebensabschnitt für Familien. Hierum hat sich ein Markt etabliert, der den Menschen noch immer suggeriert, dass sie sich mit dem eigenen Haus ein Lebenswerk schaffen können, während die Jahrzehnte später in Erscheinung tretenden Nachteile verschwiegen werden.
Ökologie: Einbahnstraße fossilen Ressourcenverbrauchs
Durch den hohen Erschließungsaufwand sind Einfamilienhäuser besonders flächenintensiv und die kleinteiligen Bauvolumen energetisch nur aufwendig zu heizen, was durch dicke Dämmpakete nur kaschiert werden kann. Zudem führt es dazu, dass gleichwertige Lebensverhältnisse im ländlichen Raum nur durch das Auto gewährleistet werden können. Jahrzehntelang wurde die Strategie verfolgt, den Raumwiderstand durch mehr individuelle Mobilität zu reduzieren. Wenn alle mit ihrem Auto mobil sind, müssen nur noch wenige Versorgungsknoten erhalten werden. Im Ergebnis haben Dörfer und kleinere Kommunen praktisch keine Versorgungsaufgaben mehr und ihre Identität verloren, weil sie zu Schlaf- und Ruhestätten wurden. Der Großteil der Bewohner:innen ist auf das Auto angewiesen, um in die Ballungsräume zu fahren, dort zu arbeiten, einzukaufen und um die kulturellen Angebote zu
Viele Studien weisen darauf hin, dass Insekten, Vögel und Amphibien unter den Auswirkungen leiden, die die geringere Wasseraufnahmefähigkeit der Böden nach sich zieht.
Die immer weiter fortschreitende Zersiedlung, zum großen Teil getrieben von der stetigen Nachfrage nach
Soziale Nachhaltigkeit: Gefahr der Vereinsamung statt Wohnraum für alle
Die Siedlungsstruktur im ländlichen Raum wird der Diversität unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht. Das Angebot in Form von Einfamilienhäusern ist vorrangig an Mehrpersonenhaushalte, meist Familien, gerichtet. So ist eine Art Monokultur des Wohnens entstanden. Dies entspricht jedoch auch im ländlichen Raum nicht mehr den hochindividualisierten Lebensstilen der Bevölkerung, die in ihrer Vielschichtigkeit der urbanen Diversität kaum nachsteht. Langfristig angelegte Lebensläufe mit linearen Arbeitsbiografien sind in Deutschland längst nicht mehr die Normalität. In der Bau- und Immobilienbranche ist diese Differenzierung jedoch noch nicht wirklich angekommen: der Wohnungsmarkt passt sich diesen Entwicklungen nur dann an, wenn Aussicht auf rentable Vermarktungsmodelle besteht. Während die Typologie des Einfamilienhauses für ältere Paare oder Alleinstehende mit der Zeit zur Belastung wird, fehlen Angebote für ein altengerechtes Wohnen außerhalb des Pflegeheims. So ist ein profitabler Markt aus dem Dilemma entstanden, statt verbesserte Angebote für die Bewohner:innen zu schaffen. Diese sollten im bekannten Umfeld liegen, sodass die sozialen Beziehungen erhalten bleiben können, während kurze Wege und barrierefreie Gebäude wieder mehr Mobilität ermöglichen. Darüber hinaus gibt es aber noch viele andere Lebenssituationen, in denen temporärer und flexibler Wohnraum gebraucht wird. Für immer mehr junge Menschen ist der ländliche Raum nach der Ausbildung oder dem Studium wieder attraktiv. Dafür wollen sie sich nicht direkt auf den Erwerb eines Eigenheims festlegen. Vor einer Familiengründung ist der Platzbedarf geringer und die ökonomische Situation angespannter. Hinzu kommen Singles, Paare in Trennung, Paare ohne Kinder oder ortsflexibel Arbeitende, die vielleicht einen kompakten, kostengünstigen Zweitwohnraum benötigen. Ohne Alternativangebote bleiben die älteren Bewohner:innen alleine in den großen Häusern und es steigt der Druck, neues Bauland für Familien auszuweisen, ohne das dabei bezahlbarer oder barrierefreier Wohnraum entsteht.
Warum wollen dann trotzdem so viele ein Einfamilienhaus?
Im Zuge der Klimakrise wird oft über dringend notwendige Änderungen unserer Gewohnheiten gesprochen. Dabei geht es zum Beispiel darum, kein Flugzeug mehr zu nutzen, öfter den Standby-Modus abzuschalten oder mehr mit der Bahn zu fahren, statt das eigene Auto zu nehmen – lediglich schlechte Gewohnheiten also. Wenn wir das Thema Wohnen im Kontext der Klimaveränderung aber ernst nehmen, geht es jedoch um weit mehr und es betrifft das Privateste und Intimste, was wir haben: das eigene Wohnen!
Wohnträume
Es geht dabei um den Traum, wir ein gelungenes Leben aussieht. Dieser Traum ist tief verankert und wird immer wieder von Neuem geträumt. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschrieb schon 1998 in seinem Buch Der Einzige und sein Eigenheim ausführlich, wie solche kulturellen Phänomene über Jahrhunderte heranwachsen, bis sie ganz natürlich und selbstverständlich
Mit einem Einfamilienhaus im Eigentum „hat man es geschafft“! Doch was steckt hinter dieser Status-Anzeige?
Bedürfnis nach Sicherheit
Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit sind zentrale Säulen des Einfamilienhauses. Die vollständige Autonomie des Individuums kann sich hier in absoluter Privatheit frei entfalten. Gleichzeitig verschanzen sich die Bewohner:innen – und ihre Häuser gleich mit – hinter meterhohen Thujen-Schutzwällen vor der Nachbarschaft. Die Sicherheit besteht in einem privaten, geschützten Bereich, in dem man selbst entscheiden darf, wer ihn betreten darf, wer ihn einsehen darf und auch was darauf passieren kann. Das ist auch eine Sicherheit vor gesellschaftlichen Problemen, die vor dem Gartenzaun warten müssen. Es ist die Sicherheit, hier seine wohlverdiente Ruhe zu haben.
Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit sind zentrale Säulen des Einfamilienhauses. Die vollständige Autonomie des Individuums kann sich hier in absoluter Privatheit frei entfalten.
Daneben ist das Konzept des Einfamilienhauses eng mit der Sicherheit in der Zukunft verknüpft. In unserer Gesellschaft ist die private Absicherung eine wichtige Säule der Altersvorsorge, die in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestärkt wurd
Wo können wir ansetzen? Drei Handlungsebenen für mehr Kollaboration!
Ein derart großflächiges Problem, das so stark mit den individuellen Vorstellungen vom privaten Wohnen verknüpft ist, kann nicht mit der einen großen Maßnahme angepackt werden. Vielmehr eröffnet sich bei genauerer Betrachtung ein breites Handlungsspektrum für eine Transformation. Das Thema ist eine umfassende Gesellschaftsaufgabe, die nur über Ressorts, Branchen und Regionen hinweg angegangen werden kann. Es braucht viel Kommunikation, Kollaboration und Koordination! Man kann dabei drei Handlungsebenen herausarbeiten: staatliche Rahmensetzungen, regionale und quartiersmaßstäbliche Strategien und individuelle Angebote.
Es braucht großen politischen Willen
Da die Ausweisung von Bauland auf der kommunalen Ebene eng mit der Einnahme von Gewerbe- und Grundsteuer verknüpft ist, gibt es für die lokalen Entscheidungsgremien immer wieder Gründe im Sinne der Kassenlage zu entscheiden und neue Flächen umzuwidmen. Die Verantwortung für das Erreichen des gesetzten Ziels zur Begrenzung der Neuversiegelung auf deutschlandweit 30 Hektar, österreichweit 2,5 Hektar pro Tag kann daher nicht den Kommunen allein überantwortet werden. Diese Ziele erfordern klare überregionale Rahmensetzungen auf Staatsebene. Das dies nicht heißen muss, dass die Gemeinden fremdbestimmt werden und keine eigenen Handlungsspielräume mehr haben, zeigt das Modell des Flächenzertifikathandels. Hierbei wird die Gesamtmenge der versiegelbaren Fläche deutschlandweit auf 30 Hektar pro Tag festgesetzt, wobei jede Kommune Zertifikate entsprechend ihrer Einwohner:innenzahl erhält. Diese können für Bauprojekte im Ort eingesetzt oder anderen Kommunen angeboten werden. Kongruent zum CO2-Zertifikathandel erhalten Flächen somit einen Wert auf einem Markt. Dies fördert zudem den Austausch zwischen den Kommunen. Hierzu wurden in einem bundesweiten Planspiel des Bundesumweltamtes bereits wichtige Erkenntnisse gewonne
Auf jede Bürger:in in Deutschland kommen rund 490 Tonnen Baustof
Solche Konzepte erfordern ein klares politisches Bekenntnis zur Umsetzung des 30-Hektar-Ziels und zur Stärkung des Gebäudebestandes. Dies hat zunächst nur indirekt mit der Problematik des Einfamilienhauses zu tun, setzt aber Anreize für eine nachhaltigere Nutzung von Bestandsflächen und -gebäuden. So liegt der Fokus automatisch auf der Innenentwicklung, also der Reduzierung der Bautätigkeit auf die bereits erschlossenen Siedlungsgebiete. Gesetzesgrundlagen, die beim Neubau stärker die gesellschaftlichen Kosten mit einpreisen und im Gegenzug eine Nach- und Umnutzung von Bestandsgebäuden erleichtern, sind bisher nur sehr zaghaft und kaum mit Sanktionsmechanismen belegt. Demgegenüber stehen immer noch neue Förderprogramme zur Eigentumsstärkung, ohne an Nachhaltigkeitskriterien gebunden zu sei
Wir brauchen mehr Baukultur, Bürger:innenbeteiligung und Co-Kreation in der Zwischenstadt
Die Politik muss zudem darauf abzielen, dass Bestandsflächen integrierter gedacht werden. Durch die städtebauliche Funktionstrennung liegen viele Raumpotentiale, nicht nur in den Obergeschossen der Einfamilienhäuser, brach. Der Architekt Jörg Heiler sieht ein enormes Potential in der bestehenden Zwischenstadt, also dem Raum außerhalb der Dorfkerne und Innenstädte der weitgehend marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassenen
Dafür muss die Zwischenstadt weiter in den Fokus der Stadtplanung rücken und zentrales Handlungsfeld der Baukulturförderung werden. Die Kommunen müssen ihre Aufgabe der Regulierung des Bauens ernster nehmen. Vieles von dem, was für ein gutes, durchmischtes Zusammenleben in einem Ort notwendig ist, kann in der Bauleitplanung verankert werden. Kommunen müssen vom Reagieren zum Agieren kommen, um die Zukunft mitzugestalten. So könnte die Teilbarkeit von Häusern in den Bebauungsplänen vorgeschrieben werden, was allerdings nur bei Neubaugebieten möglich wäre. Das bedeutet aber auch, dass die kommunalen Pläne und Vorgaben besser in die Bevölkerung kommuniziert werden müssen. Eine gute Diskurskultur, sprich eine wertschätzende Bürger:innenbeteiligung, ist ein zentraler Gelingensfaktor, der bei der Förderung der Baukultur immer mitgemeint sein muss. Wo Bürger:innen sich einbringen und mit ihren Vorstellungen und Wünschen co-kreativ mitwirken können, aber auch transparent über die Probleme der Siedlungsentwicklung auf der grünen Wiese informiert werden, werden auch die Gespräche über den Gartenzaun differenzierter.
Was eine umfassende Einbeziehung der Bürger:innen in den gesamten Planungsprozess für Potentiale freisetzen kann, zeigt das Projekt des Klosterangers im bayerischen Weyern. Da sich sowohl die Gemeinde als auch der Investor einig waren, dass ein frühzeitiger Dialog mit den Bürger:innen wichtig ist, konnten mutige Entscheidungen ohne großes Risiko getroffen werden. So wurden in einer kleinen ländlichen Gemeinde 70 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern errichtet, die zu einem Großteil an Anwohner:innen verkauft wurden, die mit ihrem Umzug ihre Einfamilienhäuser für eine Nachnutzung freimachten. Die Nachfrage überstieg schnell die Kapazitäten des Projektes und durch eine große Sorgfalt bei der Außenraumgestaltung ist hier ein vorbildhaftes offenes Wohnquartier durch die Mitwirkung der Bürger:innen
Es braucht mehr Kommunikation auf der individuellen Ebene
Das Einfamilienhaus ist das Ergebnis einer Bedürfnisbefriedigung, die ohne Aushandlungsprozesse auskommt. Die Grenzen des eigenen Einflussbereiches sind klar umrissen und die Zuständigkeiten sind vermeintlich definiert. Doch spätestens die populären Sendungen zu Nachbarschaftsstreitigkeiten in den 1990er Jahren machten deutlich, wie trügerisch diese Erwartungen sein können. Wohnen ist immer ein Miteinander, wo Erwartungen aufeinandertreffen und ggf. Lösungen ausgehandelt werden müssen. Doch die Vermeidung von nachbarschaftlicher Nähe wird immer problematischer, wenn der Wohnraum nicht mehr passt, doch die gefühlte Abhängigkeit vom privaten Schutzraum so groß ist, dass eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus wie ein Schreckensszenario erscheint. Doch letztlich ist es die Isolation des Einfamilienhauses, die zur Einsamkeitsfalle wird, wenn nicht rechtzeitig Alternativen gefunden
Daniel Fuhrhop, Autor des Bestsellers „Verbietet das Bauen“, formuliert in seiner gerade erscheinenden Dissertation die Formel UUU&VW zur Aktivierung des unsichtbaren Leerstands in genutzten
Ein Beispiel für dieses Ausziehen und Umsiedeln ist das Projekt Bremer Punkt. Dort wurde in einem Quartier ein sogenanntes Auszugshaus errichtet, wo Umzugswillige einziehen konnten, ohne die gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Sie bleiben in der Nachbarschaft und ihre alten Wohnungen können nachgenutzt werden. Diese Strategie fördert ein Umdenken in der Gesellschaft: Ich kann mein Haus loslassen, wenn ich es nicht mehr selbst bewirtschaften kann kann aber weiterhin in der Nähe der langjährig aufgebauten Beziehungen
All diesen Ansätzen ist gemein, dass sie mehr gezielte und individuelle Beratung erfordern. Es braucht Unterstützung bei den einzelnen Schritten, um vermeintliche Hürden überwinden zu können. Fuhrhop beklagt, dass Wohnraumberatung zu oft als Aufgabe der Sozialarbeit betrachtet wird, obwohl viele Betroffene eine qualifizierte Beratung auch bezahlen würden. Hier müssen Immobilienfachkräfte und soziale Träger kooperieren, um die Nachfrage und das Angebot zusammenzubringen. Dabei ist der Maßstab keinesfalls darauf angelegt, dass alle älteren Single-Haushalte zum Auszug bewegt werden müssen. Das Ziel muss es sein, dass zunächst die Interessierten erreicht werden, die offen für neue Wohnformen sind, jedoch aufgrund des fehlenden Angebots im alten Haus verbleiben. Die Beispiele in Weyern und Burgrieden zeigen, dass diese Gruppe bereits groß genug ist, um die Nachfrage nach Bauland zu befriedigen und so neue Baulandausweisungen zu verhindern. Etablieren sich solche Wohnformen, wird es auch für die Zweifelnden immer selbstverständlicher über ihre Wohnsituation nachzudenken. Sollen Menschen tatsächlich überzeugt werden, ihren zu groß gewordenen Wohnraum zu verlassen und in passendere Räume zu ziehen, müssen sie durch gute Argumente und attraktive Alternativen überzeugt werden.
Fazit
Das Einfamilienhaus ist als Wohnform fest verankert in unserer Gesellschaft. Es steht im Zentrum vieler Biografien und stellt in unzähligen Familien den alljährlichen Treffpunkt zu Weihnachten dar. Es ist das Sinnbild für ein gelungenes Leben und Wohnen in Wohlstand und Sicherheit. Aus Sicht der Nachhaltigkeit ist diese Wohnform jedoch hochproblematisch. Das gilt sowohl für die ökologischen Kosten der Versiegelung, den Materialverbrauch und den Energiebedarf als auch für die ökonomische Nachhaltigkeit. Oft wird die größte Investition des Lebens beim Eintritt ins wohlverdiente Rentenalter zur Kostenfalle. Nicht zuletzt muss auch die sozialen Folgen kritisch betrachtet werden, denn vielerorts hat sich das Einfamilienhaus als einzige Wohnform auf dem Wohnungsmarkt durchgesetzt, sodass diverse Bevölkerungsgruppen kein passendes Angebot für ihre Bedürfnisse finden.
Es geht nicht darum, das Wohnen im Einfamilienhaus in Frage zu stellen, zu verteufeln oder zu verhindern.
Es geht nicht darum, das Wohnen im Einfamilienhaus in Frage zu stellen, zu verteufeln oder zu verhindern. Es ist aus dem Verständnis von Wohnen und Leben in Deutschland, Österreich und darüber hinaus schlicht nicht mehr wegzudenken. Es geht darum, den unermüdlichen Hunger nach neuen Häusern entgegenzuwirken und die bestehenden und untergenutzten Einfamilienhäuser in einen Transformationsprozess zu bringen. Dieses riesige Raumpotential im Bestand ist für die Wohnungsfrage zu wichtig, als dass man es ignorieren könnte. Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass es Handlungsbedarf auf allen Ebenen gibt. Ebenso gibt es aber an all diesen Stellschrauben auch Ideen, Vorbilder und Lernprozesse, die es gilt weiterzuentwickeln. Es sollte klargeworden sein, dass keine Einzelleistungen dieser Aufgabe gewachsen sind, sondern es viel mehr Kommunikation, Kooperation und Kollaborationen braucht, um gemeinsam die ersten Schritte voranzugehen.
Wenn es uns gelingt, den unsichtbaren Leerstand in halbleeren Einfamilienhäusern wieder zu nutzen, wäre dies nicht nur für den vorherrschenden Wohnungsdruck und somit in der Wohnungsfrage ein Durchbruch, sondern es würde Menschen auch näher zusammenbringen, Gemeinschaft fördern und die Lebensqualität erhöhen.
Was können wir tun
Sechs Thesen,
wie es gelingen kann, im Kontext der Einfamilienhausentwicklung den Umbau im Bestand vor den Neubau zu stellen und dadurch den Traum vom Einfamilienhaus in eine nachhaltige Wohnraumstrategie zu integrieren:
1. Wir müssen Strukturen für Umbauberatung aufbauen!
Ein Bestandsgebäude ist eine Herausforderung, die Unterstützung bei vielen Schritten erfordert, die vielfach größer wirken als sie tatsächlich sind. Es bedarf einer Bewusstseinsbildung und einer Beratung, die die Vorteile eines bestehenden (Einfamilien-) Hauses sichtbar und das Risiko überschaubar macht. Dabei ist es nötig mit den Bauwilligen in einen anerkennenden, aber kritischen Dialog über ihre Bedürfnisse im Zusammenhang mit den Herausforderungen des ökologischen Orts-, Siedlungs- und Stadtumbaus zu treten.
2. Umziehen ist das Neue Bauen!
Der Traum vom Einfamilienhaus ist auch der Traum vom Wohnen im perfekten Maßanzug. Ein altes Einfamilienhaus verstellt da schon zu Beginn der Planungen viele Möglichkeiten. Dabei ist auch der Neubau mit großen Kompromissen bezüglich des Bauplatzes, der Anbindung oder des sozialen Netzwerkes verbunden, die erst später deutlich werden. Häufig sind es aber nur kleine Hürden oder Zweifel, die ein Bestandsgebäude gegen den Neubauplatz ausscheiden lassen. Oft fällt die Entscheidung zugunsten der vermeintlich sauberen Neubaulösung ohne geerbte Probleme wegen Unwissenheit oder fehlendem Fachwissen.
3. Wir müssen den Bestand nutzen!
Das Vorhandene ist das neue Potenzial! Wenn wir den Bestand als Arbeitsgrundlage akzeptieren, können sich darin ebenso viele Träume entfalten wie im Neubau. Umbauen statt neu bauen ist nicht nur günstiger und schneller zu realisieren, sondern ist vor allem im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch das Gebot der Zeit. Durch das stete Weiter-, Um- und Nachnutzen des Bestandes werden zudem auch aus Siedlungen, die einstmals in kurzer Zeit und monoton entstanden sind, bunte und durchmischte Quartiere.
4. Wir müssen attraktive Alternativen schaffen!
Das Wohnen im eigenen Haus mit Garten hat seine größte Attraktivität für Familienhaushalte, die einen großen Raumbedarf haben. Die Eigentumsform, oft in Verbindung mit der Altersvorsorge, macht es organisatorisch und emotional schwierig, nach dem Auszug der Kinder in eine angemessenere Wohnung umzuziehen. Das liegt nicht zuletzt auch am fehlenden Angebot an schönem und barrierefreiem Wohnraum mit Gartenzugang im gleichen Ort. Wir müssen attraktive Wohnangebote für all diejenigen schaffen, die gar kein Einfamilienhaus brauchen.
5. Es gibt genug Einfamilienhäuser!
Wenn nahezu die gesamte Bevölkerung im derzeitigen Bestand an Einfamilienhäusern unterkommen könnte, so bedeutet dies auch, dass wir keine zusätzlichen Einfamilienhäuser mehr brauchen, um den Bedarf an ihnen zu befriedigen. Es muss gelingen, die Nachfrage mit dem derzeitigen Bestand an Einfamilienhäusern zu decken. Wir brauchen keine neuen Einfamilienhäuser mehr!
6. Es braucht kein neues Bauland für Einfamilienhäuser!
Viele Kommunen, die Bauland ausweisen oder unter Druck stehen, dies zu tun, haben stagnierende Bevölkerungszahlen. Neues Bauland auszuweisen, ohne vorher versucht zu haben, die Ausnutzung im Bestand zu erhöhen, führt unweigerlich zu einer Potenzierung des Problems und mehr ungenutztem Wohnraum in der Zukunft. Das Ziel der Transformation des Wohnungsmarktes im ländlichen Raum muss ein kompletter Verzicht auf neue Baulandausweisung für Einfamilienhäuser im ländlichen Raum sein.
Torsten Klafft hat Architektur und Soziologie studiert, ist Projektleiter bei nonconform und lehrt an der Leibniz Universität in Hannover. Roland Gruber hat Architektur und Kulturmanagement studiert, ist Gründer und Partner von nonconform und lehrt an der Fachhochschule Kärnten. nonconform ist ein deutsch-österreichisches Architekturbüro mit dem Schwerpunkt partizipative Zukunftsraumentwicklung. Beide sind die Kuratoren der Leerstandskonferenzen, einem regelmässigen Diskursformat von nonconform, wo alle Fragen rund um Leerstand bearbeitet werden.
Die 8. Leerstandskonferenz fand im Herbst 2022 im bayrischen Kolbermoor statt und wurde vom Wirtschaftsforum Mangfalltal-Inntal gemeinsam mit den LEADER Regionen Rosenheim und Miesbacher Land veranstaltet.
Quellen
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Titelbild
Torsten Klafft